24.01.2017

„Der Ruf nach mehr Männern in Kindertageseinrichtungen übt auf Männer einen gewissen Druck aus.“

Tim Rohrmann, der das 5. Vernetzungstreffen für Verantwortliche der Arbeitskreise für männliche Erzieher organisiert, erläutert im Interview, dass diese Arbeitskreise heute immer noch wichtig sind, gerade weil der Männeranteil in Kitas gestiegen ist.

Foto: Luule Artmann. www.foto-artmann.com

Tim Rohrmann ist Diplom-Psychologe und arbeitet seit 20 Jahren zu Geschlechterfragen in Kindertageseinrichtungen und zum Thema Männer in Kitas. Von 2011-2013 war er Mitarbeiter der Koordinationsstelle „Männer in Kitas“, seit 2013 ist er Professor für Bildung und Entwicklung im Kindesalter an der Evangelischen Hochschule Dresden. Er organisiert und moderiert in diesem Jahr bereits zum fünften Mal das bundesweite Vernetzungstreffen für Leitungen und Verantwortliche von Arbeitskreisen für männliche Fachkräfte in Kitas, das am 12. Mai in Düsseldorf stattfinden wird.

Wird das Angebot „Arbeitskreise für Männer in Kitas“ grundsätzlich gut angenommen?

Ja, diese Angebote haben inzwischen eine lange Tradition – die ersten gab es schon in 1990er-Jahren. Sie sind zum Teil selbst organisiert und sie werden unterschiedlich gut angenommen. Aber dass es sie nach wie vor gibt, zeigt, dass ein Bedarf besteht. Es gibt ein breites Spektrum an Arbeitskreisen: Landesarbeitskreise, trägerinterne und trägerübergreifende Arbeitskreise, überregionale Arbeitskreise und solche, die sich auf kleine städtische Regionen konzentrieren. Die Beteiligung an den Arbeitskreisen ist sehr unterschiedlich. Manche Arbeitskreise haben nur wenige regelmäßige Teilnehmer, wogegen andere von Veranstaltungen mit 30, 50 oder sogar 70 Teilnehmern berichten. Auch die Häufigkeit der Treffen variiert von monatlich bis zu drei oder viermal im Jahr.

Wie sind die ersten Arbeitskreise entstanden?

Die ersten Arbeitskreise „männliche Erzieher“ gab es auf Initiative Einzelner schon in den 1990er-Jahren in Frankfurt, in einer Zeit als noch weniger Männer im Erzieherberuf waren als heute. Um 2010 gab es in Deutschland sieben feste Arbeitskreise.
Es hat dann einen starken Zuwachs an Arbeitskreisen im Rahmen der Modellprogramme des ESF-Bundesmodellprogramms „MEHR Männer in Kitas“ gegeben. Heute gibt es bundesweit rund 30 Arbeitskreise für Männer. Das Spektrum reicht von selbstorganisierten Männerstammtischen ohne Freistellung und ohne professionelle Leitung über professionelle Angebote, die etwa im Fortbildungsbereich verankert sind, bis hin zu Arbeitskreisen, die in Programme für Männer in Kitas eingebunden sind und sich an Aktionen z.B. zur Berufsorientierung beteiligen.

Wieso hatten Männer das Bedürfnis, sich untereinander auszutauschen und warum haben sie es noch?

Das ist ganz unterschiedlich. Die Ausgangssituation ist, dass sie als Männer in ihrem Beruf fast nur mit Frauen zusammenarbeiten. Ihr Thema ist, was es als Minderheit bedeutet, in einem Bereich zu arbeiten, in dem das andere Geschlecht überwiegt. Entsprechende Erfahrungen von Frauen in männerdominierten Berufsfeldern waren und sind Ausgangspunkt von speziellen Maßnahmen für Frauen. Inzwischen ist es zum Teil so, dass der Ruf nach mehr Männern in Kitas auf jeden einzelnen Mann einen gewissen Druck ausübt. Denn sie gehen nicht in die Kita, weil sie ein Mann sind, sondern in erster Linie, weil sie mit Kindern arbeiten wollen. Sie sind aber nun in gewisser Weise gezwungen, sich zu diesen Erwartungen in Bezug zu setzen, die an sie herangetragen werden. Sie sollen als Mann irgendwie „besonders“ sein, auch wenn das für sie persönlich gar kein Thema ist. Sie müssen sich aber damit auseinandersetzen, um gegenüber diesen Erwartungen eine Position für sich zu gewinnen.

Arbeitskreise sind aber auch noch aus einem anderen Grund wichtig: Männer spielen im Rahmen von Initiativen für eine Erhöhung des Männeranteils oder eines ausgewogenen Geschlechterverhältnisses in Kitas eine wichtige Rolle. Denn wir wissen, dass da, wo Männer sind, eher andere dazukommen. So sind Angebote zur Berufsorientierung überzeugend, wenn Männer dabei sind, die aus dem Feld kommen und aus eigenen Erfahrungen berichten.

Worüber wird in Männerarbeitskreisen gesprochen?

In der inhaltlichen Arbeit von Männerarbeitskreisen wird das gesamte Spektrum der pädagogischen Arbeit abgedeckt. Aber es gibt zwei Themen, die immer wiederkehren. Das ist zum einen die Position als Mann in einem Frauenteam und die damit verbundenen Erwartungen. Zum anderen ist es das, was wir unter dem Wort Generalverdacht zusammenfassen: Sind Männer übergriffig, möglicherweise pädophil, fassen sie Kinder komisch an? Daneben werden unterschiedlichste Themen bearbeitet, von Männern in der Krippe über geschlechterbewusste Pädagogik und die Zusammenarbeit mit Müttern und Vätern bis hin zu spezifischen pädagogischen Fragen. Viele Arbeitskreise führen auch kollegiale Fallberatung durch.

Ein Mal im Jahr findet ein bundesweites Vernetzungstreffen statt – mit welchem Ziel?

Hier treffen sich die Leiter/innnen und Koordinator/innen der Arbeitskreise, um über aktuelle Probleme zu sprechen und sich auszutauschen. Es geht darum, wie man die Arbeitskreise aufrechterhalten besser organisieren und ihre Akzeptanz erhöhen kann. Viele Amtsleitungen und Träger stehen den Anliegen der Arbeitskreise positiv gegenüber und stellen ihre Mitarbeiter dafür frei. Es gibt jedoch auch nach wie vor Skepsis und Vorbehalte gegenüber Männerarbeitskreisen auf allen Ebenen. Mancherorts wird die Beteiligung an einem Arbeitskreis nicht als Arbeitszeit akzeptiert. Wir erörtern Strategien, wie die Akzeptanz erhöht werden kann.

Daneben haben die Vernetzungstreffen inhaltliche Themen. So wurde 2016 thematisiert, welche Rolle männliche Fachkräfte in Kitas in der Arbeit mit geflüchteten Kindern und Familien spielen. Angesprochen wurde auch die Frage, wie Fachkräfte „rehabilitiert“ werden können, die fälschlich verdächtigt wurden, sexuell übergriffig gewesen zu sein. Zudem schauen wir „über den Tellerrand“ auf internationale Entwicklungen

Was sind die Inhalte des 5. Vernetzungstreffens?

Als inhaltliche Vertiefungen sind neben den oben bereits genannten die Themen „Risky Play und Abenteuer – in Kitas Männersache?“ sowie die Rolle von Männerarbeitskreisen im Kontext der Konzeptionsentwicklung von Trägern vorgesehen. Sollten sich während des Tages noch andere Themen ergeben, werden wir diese aufgreifen.

Link zum Termin

Weiterführende Infos und Praxisanregungen zu Arbeitskreisen für männliche Erzieher:
http://mika.koordination-maennerinkitas.de/uploads/media/05_Broschuere_Fachkraefte_01.pdf