16.05.2019

Vielfalt kreativ fördern

Die Idee kam beim Besuch mit Kita-Kindern im örtlichen Baumarkt. Erzieher Thomas Bahlmann hat situativ erkannt, wie er Jungen und Mädchen gleichermaßen in kreative Prozesse einbeziehen kann.

Foto: Kita St. Goretti

Actionpainting ist das Zauberwort – mit einem simplen Einfall hat Erzieher Thomas Bahlmann die Kinder motiviert, den Kreativbereich des Kindergartens St. Maria-Goretti zu nutzen. Das ist das Happy End einer Geschichte, die hier erzählt werden soll. Zudem wird sie die Frage beantworten, was Actionpainting mit Vielfalt und Chancengleicheit in der Kita zu tun hat.

Der Kindergarten St. Maria-Goretti der katholischen Kirchengemeinde St. Margaretha in Emstek ist eine große altersgemischte Einrichtung mit neun Gruppen, die 136 Kinder besuchen. „2017 haben wir zwölf unterschiedliche Nationalitäten gezählt“, sagt Astrid Raffel, Leiterin der Kindertageseinrichtung. „Zudem haben wir viele Kinder aus verschiedenen Familienkulturen und mit diversen religiös-kulturellen Hintergründen.“ 24 Fachkräfte – Erzieher/innen, Sozialpädagogen/innen heilpädagogische Fachkräfte und Sozialassistenten/innen sorgen für einen reibungsloses Miteinander im Kita-Alltag.

Die Kita verfolgt das Konzept offener Gruppen, mit unterschiedlichen Angeboten. Dazu gehören Basteln, Malen, Musik, Werken, Verkleiden, Geschichtenerzählen und Bewegung. „Auch unsere Krippenkinder krabbeln durch den ganzen Kindergarten“, sagt Raffel. Die Fachkräfte arbeiten prozessorientiert, im Fokus der pädagogischen Handlungen steht die Kindzentrierung. Zur Vielfaltskultur gehört es, Willkommensbroschüren in unterschiedlichen Sprachen bereitzustellen, Hautfarbenstifte im Malsortiment zu haben, Kinderliteratur anzubieten, die die Vielfalt der Gesellschaft abbildet. „Kinder leben heute in einer bunten, diversen Welt, deren Facetten sie früh entdecken und erleben können“, sagt Astrid Raffel. 

Dazu gehört es auch, männliche Erzieher zu beschäftigen. „Kinder brauchen männliche und weibliche Vorbilder“, sagt die Leiterin. „Männliche Erzieher sind für die Identitätsentwicklung und die Rollenfindung sowohl von Jungen als auch Mädchen äußerst wichtig.“ Zwar hätten sie mit Thomas Bahlmann zurzeit nur eine männliche Fachkraft, aber einige Praktikanten und Erzieher in Ausbildung.

Be(ob)achtung nimmt im Emsteker Kindergartenalltag einen hohen Stellenwert ein, so haben die pädagogischen Fachkräfte einen guten Einblick in spezifische Themen, die die Kinder aktuell in ihrer Entwicklung beschäftigen. „Dadurch ergeben sich ganz natürliche Bildungsprozesse, immer angelehnt an die aktuelle Situation und das individuelle Interesse des Kindes“, so Raffel. „Unser offenes Konzept ermöglicht es, neue Wege zu gehen und der Situation entsprechend auch alte Muster aufzubrechen.“

Wobei wir beim Actionpainting und dem Erzieher Thomas Bahlmann angekommen sind. Der Quereinsteiger, der in seinem ersten Berufsleben Elektriker war, arbeitet seit acht Jahren in der Einrichtung. „Für die Kinder ist er ein festes und wichtiges Rollenmodell, mit dem er sehr bewusst umgeht“, sagt Raffel. Er legt Wert darauf, die Kinder in möglichst viele Alltagssituationen miteinzubinden, so zum Beispiel bei einem Besuch im örtlichen Baumarkt. Hier nahmen die Kinder mit großem Interesse Werkzeuge und elektrische Geräte unter die Lupe, insbesondere die Akkuschrauber. In Rücksprache mit dem Förderverein, ein Zusammenschluss von Eltern, Großeltern, Freunden und Förderern, wurden deswegen für die Werkgruppe neue Akkuschrauber angeschafft.

Thomas Bahlmann beobachtete schon seit einer gewissen Zeit, dass eine Gruppe von Jungen sich nicht so recht im kreativen Bereich ausprobieren wollte, während die Mädchen ihrer kreativen Phantasie freien Lauf ließen. Er überlegte, ihnen eine „Brücke“ zu bauen. „Bestimmte Bildungsbereiche gewinnen immer dann an Bedeutung, wenn sie mit dem Interesse der Kinder verknüpft sind“, erläutert Raffel. Bahlmann lockte die Jungen mit Technik und Action. Er hatte die Idee, Malpinsel in die neuen Akkuschrauber zu stecken. Gedacht, getan – eine neue Form des Actionpaintings war geboren – die Akkuschrauberkunst.

Seitdem sind die Kinder, Jungen und Mädchen gleichermaßen, fast täglich im kreativen Bereich anzutreffen. Sie beschäftigen sich ausgiebig mit Farben und Formen, mischen diese und erschaffen ihre ganz eigenen Kunstwerke. Jungen, die bis dahin eine größere Zurückhaltung gegenüber dem Malen hatten, wurden durch den Einsatz von Technik animiert, sich künstlerisch auszudrücken. Über diese ungewöhnliche Form des künstlerischen Ausdrucks finden sie auch Zugang zu anderen Materialien, die in der Mal-Ecke angeboten werden. „Die Mädchen konnten wir auf diese Weise spielerisch an Technik heranführen“, sagt Astrid Raffel.

Zudem sei Actionpainting ein sehr einfaches Angebot, bei dem Sprache nicht so wichtig sei. Auch Kinder mit weniger Sprachkenntnissen fühlen sich eingeladen, mitzumachen. „Dieses Beispiel zeigt, wie wir durch kreative Angebote einer Vielfalt von Kindern Zugang zu unseren Bildungsangeboten machen können“, sagt Astrid Raffel. Mit Kindern Vielfalt zu leben, mit ihnen unterwegs zu sein, Entwicklung zusammen mit anderen Kindern zu ermöglichen und sie dabei zu begleiten, sei für alle Beteiligten voller Glücksmomente. „Es geht darum, Kind sein zu können und dabei das zu werden, was in einem steckt.“