08.11.2018

Keine Schonzeiten mehr

Die Kolleg/innen in den Kitas freuen sich über jede/n Auszubildende/n. Aber die müssen vom ersten Tag an voll ran. Interview mit Elke Alsago von ver.di

Foto: privat.

Elke Alsago ist stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit e.V. und Fachpolitische Gewerkschaftssekretärin für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit bei ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Berlin. In diesem Zusammenhang ist sie für die Ausbildung von Fachkräften in diesem Bereich zuständig.

Wie stellt sich die Situation für Fachschüler/innen in der Erzieher/innenausbildung dar?

Das muss man differenziert betrachten, weil es eben nicht DIE Erzieher/innnenausbildung gibt, sondern in allen 16 Bundesländern unterschiedliche Ausbildungsformen. Meist ist eine Erstausbildung als Sozialassistent/in bzw. eine Kinderpflegeausbildung Voraussetzung für die Aufnahme in die Erzieher/innenausbildung. Aber auch andere Wege können in die Ausbildung führen. Zudem hat sich die Landschaft inzwischen komplett verändert, dadurch dass mehr und mehr unterschiedliche Modelle entwickelt wurden. Das alte Modell ist die Vollzeitausbildung, aber es gibt mittlerweile auch Teilzeitmodelle oder PiA, die praxisintegrierten Ausbildungen, die auch vergütet werden. Von daher ist die Landschaft inzwischen so groß und vielfältig, dass man nicht von der Situation sprechen kann, sondern von der vielfältigen Situation sprechen muss.

Beenden sie die Ausbildung oder brechen sie eher ab?

Wir sehen, dass es bereits in der Ausbildung schon Abbrüche gibt, gerade in den ersten beiden Jahren. Gerade in der Sozialassistent/innen-Ausbildung gibt es immer wieder Teilnehmende, die aufhören, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass einige zu diesen beiden Berufsfachschuljahren von ihren Eltern überredet wurden, einfach um den MSA (Mittlerer Schulabschluss) zu machen, dann aber später in eine andere Richtung gehen. Wir sehen, dass dieser Weg nicht unbedingt in die Erzieher/innen-Ausbildung mündet. Aber auch die Ausbildungsbedingungen in den Einrichtungen sind inzwischen so schwierig, dass es auch da immer wieder zu Abbrüchen kommt. Diese werden nicht systematisch erfasst. Wir wissen nicht genau, wie viele während der Ausbildung abbrechen. Aber auch in den ersten fünf Jahren nach Berufseinstieg verlassen über ein Viertel der Fachkräfte das Feld wieder.

Aus welchen Gründen brechen die angehenden Fachkräfte ab?

Die Situation während der Ausbildung hat damit zu tun, das die Kolleg/innen, die in den Kitas tätig sind, im Augenblick unter einem wahnsinnigen Druck stehen. Viele Stellen sind nicht oder mit Fachfremden besetzt. Zudem werden die Auszubildenden auf den Personalschlüssel angerechnet. Die Belastung der erfahrene/n Kolleg/innen in den Einrichtungen nimmt massiv zu. Sie haben schlichtweg keine Zeit, um sich um die Auszubildenden zu kümmern, also um die Leute, die praktisch erst in den Beruf einsteigen wollen. Diese wiederum müssen gleich vom ersten Tag an voll mitarbeiten und Verantwortung übernehmen. Gleiches gilt auch für Berufseinsteiger/innen. Das funktioniert nicht und das geht dann zu Lasten der erfahrene/n Kolleg/innen. Das wiederum hat zur Folge, dass die unerfahrenere/n Kolleg/innen sich einerseits ausgenutzt fühlen und andererseits sagen, ja, wenn sich hier keiner um mich kümmern kann, kann ich die Arbeit nicht so leisten, wie ich es mir wünsche. Und die hören dann wieder auf.

Was müsste denn passieren, damit es nicht zum Ausbildungsabbruch bzw. zum Ausscheiden aus dem Berufsfeld „Kindertageseinrichtung“ kommt?

Die Ausbildungsbedingungen müssten verbessert und verändert werden. Da kann man sich diese praxisintegrierten Modelle mal anschauen, die ja inzwischen auch tarifiert sind und vergütet werden. Diese kann man zum Beispiel nehmen und gucken, wie und was gelingt gut in diesen Ausbildungsformen und davon mehr anbieten, und vor allem eben auch entsprechend bezahlen.

Und dann müsste man die Arbeitsbedingungen im Feld verbessern, sprich Fachkraft-Kind-Relation so erhöhen, dass Kolleg/innen auch wirklich mit den Kindern so arbeiten können, dass sie zufrieden sind mit ihrer Arbeit. Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, die möchten ja gerne gute Beziehungen zu den Kindern aufbauen und sie möchten erleben, dass die sich mit ihrer Begleitung gut entwickeln können. Den Kolleg/innen ist es wichtig, kontinuierlich arbeiten zu können. Also all das, was wir ja in den Berufsfach- und Fachschulen lehren, was wichtig ist, so möchten sie arbeiten können. Aber das können sie zurzeit nicht. Sie werden ständig daran gehindert, gut zu arbeiten und das löst dauerhafte Frustration aus.

Von daher ist es wichtig, sowohl den Fachkraft-Kind-Schlüssel anzupassen, damit Kolleg/innen gerne und gut arbeiten können. Und das gleiche gilt auch für die Leitungskräfte, sodass sie Zeit haben, sich um ihre Mitarbeiter/innen zu kümmern. Das heißt, sie müssen eine entsprechende stundenmäßige Ausstattung haben, sodass sie auch wirklich mit ihren Teams und ihren Kolleg/innen arbeiten können, um denen zum einen den Rücken freizuhalten, aber auch um sie durch Gespräche und Begleitung zu entlasten.

Wo kann man denn am Besten anfangen, um was zu verändern?

Wir hatten ja einen enormen quantitativen Ausbau die letzten Jahrzehnte, angefangen mit der Änderung des TAG (Tagesbetreuungsausbaugesetz). Damit begann die Ausbauwelle. Erst ganztägig für den Elementarbereich und dann auch die Plätze für die unter 3-Jährigen. Da ist der Ausbau immer noch nicht beendet. Letztendlich ist das auch zu Lasten der Kommunen, der Eltern und der Länder betrieben worden. Hier sind die Kapazitäten inzwischen aufgebraucht, das heißt, die Länder können häufig den Haushalt nicht noch weiter erhöhen. Von daher geht es nicht anders, als dass Bundesmittel in diesen Bereich fließen und entsprechend eingesetzt  werden. Also verbindlich, dauerhaft und auch in den entsprechenden Summen. Wir haben ja jetzt dieses Qualitätsentwicklungsgesetz, das die Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey vorgelegt hat, was sie das „Gute-Kita-Gesetz“ nennt. Das suggeriert ja entweder ein gutes Gesetz oder eine gute Kita, aber es ist eben weder das eine noch das andere. Es ist zu wenig Geld, es ist nicht auf Dauer gestellt und die Finanzierung ist nicht an Zielperspektiven gebunden. Das müsste sich ändern, es muss besonders in Fachkräfte investiert werden, in die Ausbildung von Fachkräften.

Dieses Gesetz wird den Ansprüchen des Arbeitsfeldes nicht gerecht. Zudem müsste es sowohl beim Punkt Fachkraft-Kind-Relation als auch bei den Leitungskapazitäten zu verbindlichen Standards kommen, unter denen nicht gearbeitet werden darf. Da muss man also auch Konsequenzen ziehen. Es kommt ja inzwischen zu richtigen Gefährdungssituationen für Kinder, weil es keine Standards gibt, beziehungsweise die Standards, die die Länder setzen, noch immer ständig massiv unterschritten werden.

Können denn auch Kitas was tun, um eine Willkommenskultur zu bereiten, um Erzieher/innen in der Ausbildung und Berufseinsteiger/innen besser zu integrieren?

Die Kitas könnten da schon was dran tun, aber letztendlich ist es im Augenblick wirklich so, dass bei den Kolleg/innen in den Kitas die Nerven eher blank liegen. Die freuen sich zwar über jede/n Auszubildende/n oder frisch ausgebildete Fachkräfte, aber die müssen vom ersten Tag an voll ran. Da gibt es keine Schonzeiten mehr.

Was fordern Sie?

Kolleg/innen in der Praxis mit Zeitressourcen auszustatten, dass diese auch wirklich Zeit haben, Auszubildende, Praktikant/innen und Berufseinsteiger/innen anzuleiten. Das wäre eine Aufgabe der Träger der Kindertageseinrichtungen, dieses entsprechend auch in den Ländern zu verhandeln. Das liegt ja in den Verantwortungsbereichen der Kultusministerien der einzelnen Ländern. Zudem brauchen wir Standards für die praktische Ausbildung.

Meinen Sie denn, dass mehr Anerkennung für den Beruf und für die Ausbildung und später auch eine bessere Bezahlung dazu beitragen würden, dass der Verbleib in der Kita höher ist?

Eine gesellschaftliche Aufwertung ist, glaube ich, insgesamt wichtig. Daran müssten sich aber auch alle beteiligen. Da kann auch nicht das Bundesfamilienministerium die Erzieher/innen beispielsweise als Kümmerer bezeichnen. Das politische Framing ist im Augenblick sehr ungünstig und trägt eher zu einer Abwertung in der Öffentlichkeit bei. Wenn das Ministerium selber davon spricht, wir kümmern uns um die Kümmerer und meint damit qualifizierte professionelle Pflegekräfte oder qualifizierte professionelle Erzieher/innen – die als Kümmerer zu bezeichnen ist natürlich schon eine Abwertung an sich. Da erwarte ich, dass gerade die, die über Erzieher/innen sprechen, auch eine Sprache nutzen, die wertschätzend ist.

Und wie sieht es mit der Vergütung aus?

Daran muss natürlich was getan werden, gerade in diesem Bereich. Sie muss deutlich aufgewertet werden. In den Kindertageseinrichtungen arbeiten ja vor allem Staatlich anerkannte Erzieher/innen, die mit ihrer fachschulischen Ausbildung auf der DQR Stufe 6 eingestuft sind. Ihre Ausbildung ist vergleichbar mit der von Techniker/innen, Meister/innen und Bachelor-Absolvent/innen und entsprechend müssen diese auch bezahlt werden. Aber Bachelor-Absolvent/innen und Techniker/innen bekommen in anderen Bereichen durchaus mehr Geld und das muss angepasst werden.

Danke für das Interview!