03.11.2019

Das Berufsfeld muss attraktiver werden

Gedanken zu einer Neuausrichtung des Tarifsystems in Kitas von Prof. Dr. Nina Weimann-Sandig, Evangelische Hochschule Dresden

Einführende Gedanken

In den vergangenen Jahren hat sich vieles getan im Kita-Bereich. Angefangen mit dem Rechtsanspruch U3, den damit einhergehenden deutschlandweiten Ausbaubestrebungen bis hin zur Akademisierung im Bereich frühkindliche Bildung und Betreuung wurden viele Meilensteine gesetzt. Die äußere Hülle eines modernen Berufsfeldes steht. Jetzt ist es jedoch an der Zeit, die inneren Strukturen einer Bestandsaufnahme zu unterziehen. Die Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg / Männer in Kitas“ ist ein Beispiel für eine Neuausrichtung der Personal-und Organisationsentwicklung, die dazu beiträgt, gendersensible Betreuungseinrichtungen in Deutschland als Normalfall und nicht als seltene Phänomene zu etablieren. Dennoch zeigt sich immer wieder, dass geschlechtergemischte Arbeitsteams in der Kindertagesbetreuung schwer umzusetzen sind. Nicht (oder nicht immer), weil es an einer mangelnden Offenheit des Personals läge, sondern weil die herrschenden Weiterqualifizierungsmöglichkeiten und Entgeltstrukturen als unattraktiv empfunden werden. In den zwischen 2014 und 2017 durchgeführten Quereinstiegsstudien (Weimann-Sandig et al 2016; Grgic et al 2018) wurde deutlich, dass gerade männliche Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung unzufrieden sind mit den derzeit existierenden Weiterqualifizierungen und damit einhergehenden monetären Verdienstmöglichkeiten. Insgesamt zeigt sich jedoch auch in anderen Studien, dass alle Beschäftigten in der Kindertagesbetreuung neue Entlohnungsmöglichkeiten und Karrierepfade regelrecht herbeisehnen (Fröhlich-Gildhoff/Weimann-Sandig 2020). Die daraus resultierende Frage scheint herausfordernd, aber lohnenswert:

Was wäre, wenn es ein flexibles, leistungs- und entwicklungsbezogenes tarifliches Entgeltsystem gäbe? Es braucht den Mut, um über neue Entlohnungsstrukturen nachzudenken – ohne jedoch die tarifliche Absicherung zu gefährden. Eine Idee wäre die Einführung flexibler Entgeltbänder, welche besonders geeignet sind, um Fachkarrieren zu befördern und moderne Personalentwicklung in den Kindertageseinrichtungen voranzutreiben.

Was sind Entgeltbänder?

Bisher werden Entgeltbänder überwiegend für außertariflich Beschäftigte im Management der Chemieindustrie oder des Automotive-Bereichs in Deutschland eingesetzt (WSI 2018). Der Grundgedanke der Entgeltbänder ist jedoch auch auf tariflich Beschäftigte und das Feld der Kindertagesbetreuung übertragbar. Ein modernes Entgeltsystem für Kindertageseinrichtungen sollte sich durch drei Merkmale kennzeichnen: Transparenz, Flexibilität und Reaktionsvermögen. Einzelne Eckpfeiler der Vergütung müssen fest fixiert sein, so etwa ein definiertes Mindest- und Höchstgehalt. Zugleich sollten Karrierepfade zukünftig ebenso honoriert werden wie mangelnde Bereitschaft zur Weiterentwicklung.

Der Gedanke eines Bändermodells lässt sich plastisch mit einem flexiblen Gymnastikband vergleichen: Je mehr Kraft man einsetzt, desto mehr weitet sich das Band. Sprich: Je mehr man von vornherein bereit ist, einen Plan zur Weiterqualifizierung zu entwerfen, desto eher muss sich dies in den Entgeltstrukturen abbilden lassen. Organisiert man Entgeltbänder nach Berufsabschluss, so ist das Entgeltband der Ergänzungskräfte (in der Grafik exemplarisch am Beispiel KinderpflegerIn dargestellt) weniger elastisch als die der ErzieherIn oder KindheitspädagogIn. Den Hintergrund bilden Bestrebungen, Ergänzungskräfte im Sinne einer aktivierenden Personalentwicklung sowie einer anzustrebenden Professionalisierung des Berufsfeldes grundsätzlich zu Fachkräften weiterzuqualifizieren. Gleichzeitig ist nicht jede Ergänzungs- oder Fachkraft weiterbildungsfreudig, oft ist die Bereitschaft zur Weiterqualifizierung darüber hinaus lebensphasenabhängig (Weimann-Sandig/Wirner 2013). Dennoch leisten gerade Ergänzungskräfte in Zeiten des Fachkräftemangels herausragende Arbeit, die honoriert werden muss. Abschlüsse sind dementsprechend für das berufliche Engagement nur von bedingter Aussagekraft. Da das System der Entgeltbänder durchaus komplex ist, soll es anhand der nachfolgenden Grafik vereinfacht dargestellt und beschrieben werden:


Grafik: eigene Darstellung.

Im Unterschied zu den bisherigen Tarifgruppen und Stufenmodellen steht im Bändermodell nicht die Abgrenzung zwischen einzelnen Tätigkeitsgruppen im Vordergrund, sondern die Berücksichtigung von Durchlässigkeit sowie die individuelle Leistungsbereitschaft. Entgeltbänder sind, um sich wieder eines plastischen Bildes zu bedienen, also auch mit anderen Entgeltbändern verknotbar. Dadurch ergeben sich Übergangsmöglichkeiten. Es wird beispielsweise also durchaus anerkannt, dass KinderpflegerInnen, ErzieherInnen oder KindheitspädagogInnen unterschiedliche Ressourcen in ihre Ausbildung stecken, es wird gleichzeitig aber auch berücksichtigt, dass es Personen gibt, die niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten brauchen, sich dennoch aber kontinuierlich weiterqualifizieren wollen.

So gibt es durchaus Beispiele von Kindertagespflegepersonen, welche die tätigkeitsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin gemacht und bereits dort erkannt haben, dass sie gerne ein Studium der Kindheitspädagogik absolvieren würden (Schoyerer/Weimann-Sandig 2015). Für die Betreuungseinrichtungen sind gerade diese Personengruppen von unschätzbarem Wert. Fach- und Führungskräfte für die eigene Organisation weiterqualifizieren zu können, bedeutet nicht nur Kontinuität, sondern auch Qualität.

Als Kriterien zur Einordnung auf dem Band können beispielsweise die fachliche und soziale Kompetenz, der Wille zur Weiterentwicklung, Teamfähigkeit sowie die individuelle Potenzialausschöpfung angelegt werden. Darüber hinaus spielt die Übernahme von Verantwortung eine zentrale Rolle, wobei es hier eben nicht nur um Leitungsfunktionen, sondern die Übernahme fachlicher Verantwortung geht. Dabei sind die Bänder nicht nur nach oben, sondern auch nach unten beweglich. Wer nicht bereit ist, vereinbarte Ziele zu erbringen oder unter dem Durchschnitt der Anforderungen einer Einrichtung rangiert, kann dementsprechend im Bandmodell auch nach unten gestuft werden. Verbindlich festgehalten werden muss folglich eine Mindestanforderung an die Beschäftigten in einer Einrichtung, welche aber gerade mit Blick auf Konzeptions- und Leitbildentwicklung keinen Herkulesakt bedeutet, sondern ohnehin in diesem Prozess angelegt sein sollte.

Folgt man dem Beispiel der Einteilung nach Berufsabschlüssen, so müssen Mindestkriterien für die Gruppe der Ergänzungskräfte, der ErzieherInnen und sowie für die KindheitspädagogInnen definiert werden, welche den Mittelwert auf dem Band beschreiben und damit das mittlere Einkommen fixieren. Positive Abweichungen können mit bis zu 40% mehr Gehalt, negative mit einem Gehaltsabzug zwischen zehn und zwanzig Prozent sanktioniert werden.

Welche Herausforderungen gibt es?

Entgeltbänder erfordern den Mut der Gewerkschaften, lediglich Tarifgerüste zu etablieren und deren Ausgestaltung auf die betriebliche Ebene zu verlagern. Genau hier ist die fach-und leistungsspezifische Expertise angesiedelt. Gemeinsam mit Betriebs- und Personalräten können Einrichtungsleitungen für ihre Beschäftigten die Entgeltbänder befüllen und auf diese Weise zu einer transparenten, jedoch auch individuellen Entlohnung beitragen. Dies setzt jedoch Führungskenntnisse und betriebswirtschaftliche Kenntnisse von Einrichtungsleitungen voraus, die kontinuierlich geschult werden müssen.

Ebenso müssen Leitungskräfte genügend Zeit bekommen, um in einem definierten Abstand (zu empfehlen wären zwei Jahre) über die Neuordnung der Beschäftigten im Bandmodell zu beraten und zu entscheiden. Die größte Herausforderung stellt sicherlich aber die verbindliche Einführung von Zielvereinbarungsgesprächen in den Einrichtungen der Kindertagesbetreuungen – mit klar definierten Ablaufplänen und zu besprechenden Themenfeldern – dar. Diese bilden die Grundlage der Einordnung auf dem Entgeltband und müssen in regelmäßigen Abständen evaluiert werden. Dies erfordert grundlegende Ressourcen wie Zeit, kommunikative Kompetenzen der Leitungskräfte sowie eine Selbstreflexion der Mitarbeitenden.

Zu oft werden Zielvereinbarungsgespräche in Kindertageseinrichtungen unregelmäßig abgehalten und folgen keinem allgemeinverbindlichen und vergleichbaren Schema. Dies führt zu Irritationen bei Mitarbeitenden, da sie einerseits nach Entwicklungswünschen befragt, diese jedoch kaum nachgehalten werden. Würde man strukturierte Zielvereinbarungsgespräche als Grundlage der tariflichen Entlohnung etablieren, käme man zu einer veränderten Wertigkeit der Personalentwicklung im Bereich Kindertagesbetreuung.

Warum braucht es flexible Entlohnungssysteme wie Entgeltbänder?

Gab es in früheren Jahrzehnten nur die Kita-Leitung, wird heute aufgrund der Größe der Einrichtungen zwischen Teamleitungen, Bereichsleitungen und Gesamteinrichtungsleitungen differenziert. Auch über die Notwendigkeit, die Rolle der stellvertretenden Leitungen von einer bloßen Abwesenheitsvertretung auf moderne Führungstandems auszuweiten, wird in der fachwissenschaftlichen Debatte zunehmend diskutiert (Weimann-Sandig 2017a).

Darüber hinaus gibt es aber auch zunehmend Beschäftigte, welche sich fachlich stetig weiterqualifizieren wollen, ohne direkte Personalverantwortung zu übernehmen. Diese Entwicklung bezeichnet man als Fachkarrieren (Weimann-Sandig 2017b; Mieth et al 2018). Gemessen an der Tatsache, dass die kindlichen Bedarfe im Rahmen des Konzepts der Early Childhood Education einer vielschichtigen Reflexion bedürfen, erscheint die Etablierung von Fachkarrieren in den Betreuungseinrichtungen durchaus sinnvoll, wird aber im derzeitigen Tarifsystem nicht honoriert. Im Sinne einer aktivierenden und lebensphasenorientierten Personalentwicklung (Weimann-Sandig/Wirner 2013) stellen auch hier die Entgeltbänder eine diskussionswürdige Option dar.

Bisher offenbart die Tariflandschaft für die Erziehungsberufe nur eingeschränkte monetäre Entwicklungsperspektiven. Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes sehen beispielsweise unterschiedliche Eingruppierungsstufen von Kita-Leitungen, ErzieherInnen und KinderpflegerInnen/SozialassistentInnen vor. Die Eingruppierungsregelungen honorieren bei Kita-Leitungen die Größe der zu betreuenden Einrichtung mit unterschiedlichen Entgeltgruppen, ebenso werden Erfahrungsstufen anerkannt.

Bei KinderpflegerInnen erfolgt die Eingruppierung auf Basis des erworbenen Abschlusses, so wird eine Person mit staatlicher Anerkennung beispielsweise höher eingruppiert als eine Person ohne staatliche Anerkennung. Für die Gruppe der ErzieherInnen gibt es eine vielfältige, komplizierte und eher uneindeutige Differenzierung zwischen ErzieherInnen mit fachlich verantwortungsvollen Aufgaben und Abschwächungsformen. Weiterhin ist eine Regelung für Personen vorgesehen, die Tätigkeiten von ErzieherInnen übernehmen und eine Berücksichtigung der Erfahrungsstufe.

Zwei zentrale Schwachstellen beinhaltet das gegenwärtige Eingruppierungssystem: Die Erfahrungsstufen werden oftmals nur dann angerechnet, wenn eine Person auch im Vorfeld im öffentlichen Dienst beschäftigt war (Die Zeit, 22.6.2015) Weiterhin blendet das derzeitige Tarifsystem im Vorfeld erworbene, fachfremde Berufsabschlüsse und Weiterqualifizierungen, die für die Tätigkeit in der Kindertagesbetreuung dennoch von Nutzen sein könnten,  aus. Es zementiert folglich die bisher fehlende horizontale Durchlässigkeit der Erziehungsberufe (Ostendorf 2017).

Dies liegt sicherlich auch daran, dass sich das deutsche Tarifsystem eng an Berufsabschlüssen und Berufsklassifikationen orientiert und neuere Anregungen, etwa des europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (EQR), bisher nicht aufgreift. Die fehlende Flexibilität des derzeitigen Entlohnungssystems ist umso bedauerlicher, da die tarifliche Absicherung dieser Berufsgruppe als große Errungenschaft zu sehen ist.

Die Entgeltbandlogik ergänzt die Errungenschaften der Gewerkschaften um moderne Elemente der Personalentwicklung und kann auf diese Weise zu einer Erhöhung der Attraktivität des Berufsfeldes beitragen. Zur Weiterentwicklung des Gedankens der Entgeltbänder bräuchte es eine gemeinsame Initiative von Gewerkschaften und Wissenschaft, um in einem Modellprojekt erste Erfahrungswerte zu sammeln und zentrale Herausforderungen Schritt für Schritt zu meistern.

Literatur:
Grgic, Mariana/Riedel, Birgit/Weihmayer, Lena/Weimann-Sandig, Nina/Wirner, Lisa (2018): Quereinsteigende auf dem Weg zur Fachkraft. Ergebnisse einer qualitativen Studie in den Berufsfeldern Kindertagesbetreuung und Altenpflege. Böckler-Study Nr. 392. Düsseldorf. Online unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_392.pdf

Fröhlich-Gildhoff, Klaus/Weimann-Sandig, Nina (2020): Studie zur Fachkräftesituation im Feld der FBBE. Eingereicht bei: Zeitschrift für Bildungsforschung.

Mieth, Cindy (2018): Organisationsentwicklung in Kitas. Beispiele gelungener Praxis. Hildesheim.

Schoyerer, Gabriel/Weimann-Sandig, Nina (2015): Untersuchung zur tätigkeitsbegleitenden Ausbildung von Tagespflegepersonen zu ErzieherInnen. Abschlussbericht I zur Stufe 2 des Aktionsprogramms Kindertagespflege. DJI- Graues Material. München.

Ostendorf, Helga 2016: Durchlässigkeit in die Sackgasse? Bildungschancen von Erzieher_innen: https://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/12496.pdf

Weimann-Sandig, Nina (2017a): Führungstandems als Gewinn für alle – Kooperative Personalentwicklung in Kitas. In: Kindergarten heute, das Leitungsheft 3/2017 (10.Jg.), S. 26-29.

Weimann- Sandig, Nina (2017b): Die Tarifstruktur muss sich ändern. In: didcata Infodienst. Das Bildungsdossier für Politik und Bildungsverwaltung 04/2017.

Weimann-Sandig, Nina/ Weihmayer, Lena Sophie /Wirner, Lisa (2016): Quereinstiege in Kindertagesbetreuung und Altenpflege. Ein Bundesländervergleich. Böckler-Study 335, September 2016. http://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_335.pdf

Weimann-Sandig, Nina (2013) : Zwischen Bauklötzen und Fachkräftemangel. Warum demographieorientierte Personalentwicklung in KiTas notwendig ist. In: Kindergarten heute, Ausgabe 3/2013. Freiburg.

WSI (2018): Tarifliche Lohn-, Gehalts- und Entgelttabellen 2018. Online unter: www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_4829.htm.