19.06.2019

Die Kunst, niemandem einen Stempel aufzudrücken

Austausch und gegenseitiges Verständnis sind wichtig. Im Interview mit zwei Fachschülerinnen der Pro Inklusio Fachschule für Sozialpädagogik in Berlin

Foto: Koordinationsstelle "Chance Quereinstieg/Männer in Kitas"

Jennifer Kubutat und Dana Wolf sind im vierten Semester ihrer Erzieherinnen-Ausbildung an der Pro Inklusio Fachschule für Sozialpädagogik in Berlin. Beide sind Quereinsteigerinnen – Jennifer Kubutat war Gesundheits- und Krankenpflegerin, Dana Wolf Verwaltungsfachangestellte. Gemeinsam mit ihren Kommilitonen/innen besuchten sie den Aktionstag an der Euro Akademie. Für sie gehört Vielfalt zum Leben, sie wissen aber auch, dass sie (noch) keine Selbstverständlichkeit ist.

Was halten Sie von dem Aktionstag?

Wolf: Also ich finde den Tag sehr wichtig, aber trotzdem auch bedenklich, dass er überhaupt stattfinden muss.

Kubutat: Ich finde es schon wichtig, dass man Sachen, die man sich sonst nicht traut anzusprechen, anpackt und dafür einen Tag macht. Es ist schon schade, dass es dafür überhaupt eine Notwendigkeit gibt, aber so ist das nun mal in der Gesellschaft. Irgendwie muss man ja die Leute anstupsen, die nur in eine starre Richtung gucken. Von daher finde ich, ist so ein Tag ein guter Schritt, um einfach viele Menschen erreichen zu können.

Wie wird denn Vielfalt in Ihren Einrichtungen gelebt?

Kubutat: In meiner Einrichtung machen wir das schon ganz gut. Wenn man sich zwar die Arbeitsmaterialien kritisch anguckt, könnte da definitiv noch einiges verändert werden. Aber so wie wir alle arbeiten, haben wir ein Bewusstsein für Vielfalt.

Wie zeigt sich denn diese Vielfalt?

Kubutat: Einfach, dass die Kinder, gehört werden, wenn sie was sagen und unterstützt werden, wenn sie in eine Richtung gehen wollen. Wenn sich ein Junge einen Zopf anmachen möchte, unterstützen wir ihn dabei.

Wolf: Ich arbeite im Nestbereich mit Ein- bis Zweijährigen, da ist es noch kein so großes Thema. Aber in der Kita ist es so, dass auch unsere Jungs mit Kleidern rum rennen und die Mädchen eine Badehose anziehen oder sich so verkleiden können, wie sie es gerade in dem Moment möchten. Wir haben verschiedene Familienkulturen und Familien mit Fluchterfahrung in der Gruppe, wir arbeiten mit Dolmetscher/innen, veranstalten gemeinsame Familiennachmittage, wo die Eltern auch erzählen können, wie gewisse Sachen in ihrem Land gehandhabt werden. Das ist für den Austausch und das gegenseitige Verständnis sehr wichtig. Wir haben dadurch ein gutes Miteinander geschaffen. Im Team arbeitet mittlerweile auch ein Erzieher. Ich bin darüber froh, dass es bei uns in der Einrichtung jetzt auch losgeht. Ich habe aber auch Kolleginnen, die noch sehr starr in ihren alten Rollenbildern sind und sagen, Jungs dürfen keinen Zopf tragen und um Gottes Willen kein Kleid anziehen. Da muss man halt noch sehr viel entgegenarbeiten.

Bekommen Sie in Ihrer Ausbildung Handwerkszeug an die Hand, wie man Vielfalt in Kitas umsetzen kann?

Kubutat: Da geben unsere Dozenten/innen viel Input, sie probieren, unseren Horizont zu erweitern, sodass wir lernen, in viele Richtungen zu schauen. Zum Beispiel mit entsprechenden Büchern oder wir gucken uns Filme an, wodurch Gespräche und Nachdenken angeregt werden, sodass wir uns dann nochmal anders reflektieren können. Wir lernen, nicht einfach alles schwarz/weiß zu sehen, sondern auch die Grautöne zu betrachten. Und ich finde, unsere Schule macht das schon echt toll.

Wolf: Unsere Schule arbeitet eng mit der Fachstelle Kinderwelten für vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung zusammen. Wir haben jetzt auch eine Dozentin, die von Kinderwelten kommt. Die bringt nochmal ganze viele neue Informationen mit und zeigt, wie wir sie in der Praxis umsetzen können.

In diesem Semester hatten wir das Thema Gender-Bewusstsein. Da haben wir Gender-Profile erstellt, wo man richtig in die Tiefe geht, wo man sich selbst reflektiert. Wir haben dazu über zwei bis drei Wochen ein Gender-Tagebuch geführt, in das wir geschrieben haben, was uns jeden Tag so auffällt in der Einrichtung, in der Umwelt, in der Familie, mit Freunden. Aber wir haben auch uns selbst und unsere Handlungen reflektiert. Zudem haben wir Angebote erstellt, die wir dokumentiert haben. Ich habe zum Beispiel bei mir in der Einrichtung für die Kleinen den Kleiderfundus erweitert.

Denkt ihr auch über eigene Vorurteile nach?

Wolf: Ja, klar, keiner ist ja unbehaftet. Man hat immer Vorurteile, die man sich durch die eigenen Erfahrungen und Lebenswege, die man gegangen ist, angeeignet hat. Wichtig ist, wie man damit umgeht. Bin ich offen dafür, anders zu denken oder einfach Akzeptanz zu haben? Ich finde es sehr wichtig, andere Denkweisen zu akzeptieren, und die eigenen nicht den anderen aufzudrücken.

In wie weit kann Vielfalt auch eine Herausforderung sein? Was ist mit Vielfalt im politischen Spektrum? Haben Sie dazu eine Meinung? Gibt es da Tabus? Gibt es bei Vielfalt eine Richtung, die ein Tabu darstellt?

Wolf: Also ich arbeite in einer Berliner Kita, in der einige Eltern eine sehr starke rechte Orientierung haben und das finde ich schon sehr kritisch. Ich kann da jetzt nicht einfach sagen, dass ich diese Vielfalt akzeptiere. Ich würde hier eher gucken, wie kann ich diese Kinder aber trotzdem mitnehmen, denn die Kinder sind ein Teil der Gruppe. Ich würde mir überlegen, was man tun könnte, damit diese Weltanschauung draußen bleibt sozusagen. Also es soll ja nicht was Normales für Kinder sein zu denken, dass jeder, der anders als weiß ist, nicht dazu gehört oder ausgestoßen wird.

Kubutat: Unsere Aufgabe ist es, die Kinder stark zu machen und zu zeigen, wie viele Farben es eigentlich gibt. Die Eltern können ihre Meinung haben, ob sie uns passt oder nicht. Wichtig ist einfach, dass Kinder die Möglichkeit haben, selber ihren Weg zu finden.

Wolf: Mir geht es darum, dass die Kinder so sein können, wie sie wollen. Dafür kämpfe ich. Ich tue mein Möglichstes, um zu zeigen, Vielfalt ist gut.

Vielen Dank für das Interview.