27.10.2016

„Mentoring ist für mich wie eine Fortbildung“

Es ist ein absolutes Muss, dass jede/r Auszubildende in der Praxisphase regelmäßige Reflexionsgespräche führt und feste Ansprechpartner/innen hat. Interview mit Kirsten Herzmann und Sabine Ristow.

Foto: Bellwinkel. Copyright: Koordinationsstelle 'Chance Quereinstieg/Männer in Kitas'.

Kirsten Herzmann (37) nimmt seit 2015 am ESF-Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ teil. Sie besucht die Euro Akademie und macht ihre praktische Ausbildung in der Kindertagesstätte Senftenberger Ring des Eigenbetriebes Nordwest in Berlin. Hier arbeiten 28 Erzieher/innen, davon zwei Männer, beide in berufsbegleitender Ausbildung. Kirsten Herzmann hat Kulturwissenschaften studiert und im Jüdischen Museum Berlin in der Teamleitung des Besucherservices gearbeitet, bevor sie sich entschied, beruflich neue Wege einzuschlagen. Ihre Mentorin in der Kita ist Sabine Ristow. Die 49-Jährige hat ihre Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin 1986 abgeschlossen. Im Interview berichten sie über ihre Erfahrungen als Mentor-Mentee-Tandem. Aber sieht auch ihr Team diese Zusammenarbeit positiv?

Frau Ristow, Sie sind die Mentorin von Frau Herzmann. Wie ist es dazu gekommen?

Sabine Ristow: Ich habe Kirsten kennengelernt, als sie in der Kita hospitierte. Als bei einer Dienstbesprechung die Frage gestellt wurde, wer die Aufgabe der Praxisanleitung übernimmt, habe ich mich dafür entschieden.

Warum haben Sie sich für diese Zusatzaufgabe gemeldet?

Ristow: Ich finde es wichtig, in die Ausbildung zu investieren, damit wir auch als Einrichtung für Erzieher/innen-Nachwuchs sorgen und so selbst kleine Diamanten schleifen können. Wir haben gesehen, dass Kirsten zu unserem Haus und zu unserem Team passt. Ich war aber auch neugierig auf die Tätigkeit. Ich hatte das schon bei einer Kollegin beobachtet, die auch eine Quereinsteigerin betreut hat und fand das spannend. Bei uns liegt der „Leitfaden für die berufsbegleitende Ausbildung“ aus, den wir jederzeit einsehen und an den wir uns orientieren können. Dieser Leitfaden ist vom Eigenbetrieb Nordwest explizit für die Anleiter/innen und Auszubildenden unserer Einrichtungen entwickelt worden. Zu meinen Aufgaben gehört auch, einen Ausbildungsplan zu schreiben. In all die Aufgaben wächst man hinein. Ich stehe jedoch nicht alleine da, sondern bekomme viel Unterstützung von der Leitung.

Seit wann sind Sie Mentorin und Mentee?

Ristow: Von Anfang an, also seit gut einem Jahr. Wir sind zeitweise in unterschiedlichen Bereichen tätig. Die Trennung ist wichtig, damit Kirsten nicht nur mit ihrer Anleiterin arbeitet, sondern auch andere Bereiche mit anderen Kollegen/innen kennenlernen kann.

Kirsten Herzmann: Durch den Kontakt mit anderen Kollegen/innen konnte ich ins Team hineinwachsen.

Wie arbeiten Sie zusammen?

Herzmann: Wir treffen uns immer einmal pro Woche zum Reflexionsgespräch. Das ist eine feste Größe. Die Treffen dauern eine halbe bis eine Stunde.

Ristow: Das ist für uns eine sehr wertvolle Zeit. Wir tauschen uns aus, sprechen über Schwierigkeiten, sprechen über Kirstens Vorhaben, stellen dafür eine Planung auf, hinterfragen pädagogische Handlungen. Zudem werden die Entwicklungsstände der Kinder beleuchtet.

Frau Herzmann, wie profitieren Sie vom Mentoring?

Herzmann: Das ist eine tolle Sache, weil es mir die Möglichkeit gibt, mich zu reflektieren und Sachen zu fragen, die ich im Kita-Alltag nicht beantwortet bekomme. So habe ich einmal in der Woche die Möglichkeit, Sabine eine Situation und meine Reaktion darauf zu schildern und sie zu fragen, wie sie an meiner Stelle reagiert hätte. Ich reagiere noch viel aus dem Bauchgefühl heraus. Mit Sabine habe ich eine professionelle Größe an meiner Seite, mit der ich mein Handeln reflektieren kann, um in ähnlichen Situationen immer professioneller reagieren zu können.

Frau Ristow, profitieren Sie als Mentorin auch von der Zusammenarbeit?

Ristow: Auf jeden Fall. Über all die Berufsjahre kommt man in eine gewisse Routine. Durch unsere Gespräche werden Situationen und Begebenheiten nochmal anders beleuchtet und bestimmte Sachen wieder neu belebt. Nach all den Jahren hat man oft sein festes Schema, nach dem man arbeitet und durch Kirsten, die mit ihrem Wissen und neuen Projekten aus der Schule auf mich zukommt, gewinne auch ich wieder neue Erkenntnisse. Das Mentoring ist für mich wie eine Fortbildung. Kirsten bringt eine Menge Ideen mit. Das sind oft schöne Anregungen und wir suchen gemeinsame Wege, wie wir was umsetzen können.

Wie ist das für Ihre Kollegen/innen, wenn Sie sich aus der Arbeit rausziehen?

Ristow: Die wissen das, denn wir haben auf der Teambesprechung bekannt gegeben, dass wir uns immer donnerstags für ein Reflexionsgespräch zurückziehen. Eigentlich läuft es gut. Schwierig wird es dann, wenn es Personalengpässe gibt.

Herzmann: Ich als Auszubildende fehle den Kollegen/innen ja zusätzlich auch noch an dem Tag, an dem ich zur Schule gehe.

Wie sollte das Mentoren/innen-Programm in den Kita-Alltag integriert werden, damit es für alle positiv ist?

Ristow: Von Seiten der Leitung wurde das in unserer Einrichtung schon gut erklärt und eingeführt. Damit es gut läuft, muss dafür Sorge getragen werden, dass es auch andere Ansprechpartner/innen gibt, wenn ich mal nicht anwesend bin. Wir als Mentorin und Mentee müssen auch ein wenig flexibel sein. Wenn es mal nicht passt, dass wir uns donnerstags zurückziehen, müssen wir einen anderen Termin finden. Wichtig ist nur, dass das Reflexionsgespräch stattfindet. Zudem ist Transparenz wichtig. Wir schreiben ein Gesprächsprotokoll, das für alle Kollegen/innen einsehbar ist.

Frau Herzmann, haben Sie das Gefühl, dass Sie als Einsteigerin Ihre Ideen und Erfahrungen, die Sie aus Ihrem Berufsleben mitbringen, hier gut umsetzen können?

Herzmann: Ich glaube schon. Ich habe Lust, neue Ideen ins Team zu tragen. Diese Ideen wurden vom Team positiv aufgenommen und umgesetzt.

Ristow: An dem Punkt habe ich gemerkt, Mensch, Kirsten hat ja schon einen Beruf vorher ausgeübt. Aus dem heraus kann sie viel schöpfen. Das merke ich auch in Eltern- und Entwicklungsgesprächen. Die fallen ihr leichter als anderen Auszubildenden.

Herzmann: Ja, diese Gespräche fallen mir leichter, obwohl es eine andere Art der Kommunikation ist, als die, die zu meinem alten Beruf gehörte. Aber dort habe ich Fähigkeiten erworben, die ich hier anwenden kann. In der Kommunikation mit Menschen bin ich gut, das habe ich gelernt. Aber das war mir vorher noch nicht einmal bewusst, weil Kommunikation ganz selbstverständlich zu meinem Berufsbild gehörte. Und nun ist mir aufgefallen – da hast du ja was mitgenommen, was dir hier hilft.

Gibt es Situationen, in denen Sie als Tandem besonders gut funktioniert haben?

Ristow: Bei unserem Sommer-Projekt lief es sehr gut. Eigentlich hatte Kirsten das Projekt „Zirkus“ bereits mit einer Kollegin angefangen und ich bin dann spontan eingestiegen. Da haben wir sehr gut zusammengearbeitet und haben auch ein sehr schönes Projekt auf die Beine gestellt, das wir auf dem Sommerfest den anwesenden Eltern präsentiert haben.

Was macht ein gutes Mentor-Mentee-Tandem aus?

Herzmann: Offenheit, Respekt, Kritikfähigkeit, Sympathie und Empathie.

Ristow: Die Chemie muss stimmen. Es ist wichtig, dass man sich offen alles sagen kann, dass man Kritik üben und auch annehmen kann. Uns hat Kritik bislang immer bereichert und weitergebracht.

Wird sie einseitig geübt, also nur von Ihnen als Berufserfahrene, Frau Ristow?

Ristow: Von Kirsten kam auch schon Kritik. Das ist gut und für mich auch eine Bereicherung.

Herzmann: Ich kann mich an die erste Situation erinnern, und die war nicht im Reflexionsgespräch. Wir waren im Atelier, die Kinder malten. Ein Kind saß auf seinem Stuhl und kippelte darauf. Ich sagte zu dem Kind, ganz aus meinem Bauch heraus: „Setz dich ordentlich hin“. Da sagte Sabine zu mir: „Was ist denn für dich ordentlich sitzen?“ Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Und dann sagte sie: „Guck mal, dieses Kind kann auf diesem Stuhl gar nicht ordentlich sitzen, weil dieser Stuhl nicht der richtige Stuhl ist“. So läuft es zwischen uns ab, wenn wir Kritik üben. Wir rücken uns gegenseitig immer mal wieder die Perspektive zurecht.

Würden Sie anderen raten, regelmäßig Anleitungsgespräche zu führen?

Ristow: Ja, ich finde es ist ein absolutes Muss, dass jede/r Auszubildende in der Praxisphase regelmäßige Reflexionsgespräche führt und feste Ansprechpartner/innen hat. Dieses „learning by doing“ finde ich toll. Und dass die Schulen das heutzutage anbieten. Für mich ist es ein Gewinn: Mein Wissen anderen mitzugeben, ist ein schönes Gefühl.

Herzmann: Als Quereinsteiger/in wirst du ja ins kalte Wasser geworfen. Durch die Anleitung an meiner Seite gibt es jedoch einen roten Faden, an dem ich mich festhalten kann, der mir hilft, eine Struktur und mich selber zu finden. Ich werde zwar im Personalschlüssel angerechnet. Aber ich habe hier die Möglichkeit, mich pädagogisch zu bilden und zu festigen. Und dabei hilft mir meine Mentorin.