30.05.2017

“Für die Finanzierung der Ausbildung sind vor allem die Träger gefragt.“

Rudolf Wetzel im Interview über die direkte Zulassung fachfremder Quereinsteiger/innen in die Erzieher/innenausbildung.

Foto: privat.

Rudolf Wetzel ist Diplompädagoge und war von 1992 bis 1997 in der stationären Jugendhilfe tätig. Von 2001bis 2014 war er als Leiter der Abteilung Sozialpädagogik am Berufsbildungszentrum in Schleswig für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, Heilerziehungspflegerinnen und Heilerziehungspflegern sowie Sozialpädagogischen Assistentinnen und Assistenten zuständig. Als Landeskoordinator ist er Fachaufsicht für sozialpädagogische, sozialpflegerische und heilpädagogische Berufe im Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein.

Herr Wetzel, in Schleswig-Holstein können Menschen mit einem fachfremden Berufsabschluss die Ausbildung zur Erzieherin / zum Erzieher ohne einschlägige Praxiserfahrungen beginnen.
In anderen Bundesländern werden einschlägige Praxiserfahrungen in einer sozialpädagogischen Einrichtung vorausgesetzt, in NRW sind es beispielsweise 900 zusammenhängende Stunden.
Wieso hat sich Schleswig-Holstein entschieden, Fachfremde ohne einschlägige Praxiserfahrung zur Ausbildung zuzulassen?

Die Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher ist auch in Schleswig-Holstein eine berufliche Weiterqualifikation auf der Grundlage der KMK-Rahmenvereinbarung. Neben den schulischen Voraussetzungen müssen also auch berufliche Vorqualifikationen für die Aufnahme erfüllt sein. Aus unserer Sicht stellen auch handwerkliche oder technische Berufe, z.B. in der Jugendhilfe oder der offenen Jugendarbeit eine einschlägige Qualifikation dar. Wir gehen davon aus, dass Menschen, die eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, über wichtige Schlüsselqualifikationen für den Erzieher/innenberuf verfügen. Sie gehen unvoreingenommen und neugierig an dieses neue Berufsfeld heran und eignen sich die Fachlichkeit, wenn man darunter hier die theoretischen Aspekte subsumieren will, schnell an.

Fachfremde und andere angehende Erzieher/innen können voneinander lernen

Wir haben in der Zeit, in der diese Regelung in Kraft ist, die Erfahrung gemacht, dass die fachlichen Aspekte mit einer hohen Motivation gelernt und erfahren werden und sich mit den persönlichkeitsbezogenen „soft skills“, den Kompetenzen aus dem Bereich des informellen Lernens auf der empathischen Ebene und der Professionalität oft gewinnbringend bereits in der Ausbildung verbinden. Ein Beispiel sind hier oft die ehemaligen Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, die sich oft ganz bewusst für eine Erzieher/innenlaufbahn entschieden haben und die aufgrund ihrer besonderen biografischen Entwicklung und der Erfahrungen im Umfeld der Bundeswehr Eigenschaften und Haltungen mitbringen, die in den Klassen oft eine sinnvolle und hilfreiche Facette in die Entwicklung der anderen angehenden Erzieherinnen und Erzieher einbringen. Diese wiederum ermöglichen den ehemaligen Soldatinnen und Soldaten oft im Gegenzug völlig neue Erfahrungen, die diese für sich nutzen können.

Welche Herausforderungen sind aus Sicht des Landes mit dem Zugang in die Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher ohne einschlägige Praxiserfahrungen verbunden?

Es gibt in Schleswig-Holstein tatsächlich sehr wenige Quereinsteiger/innen, die ihre Ausbildung abbrechen. Meist sind das dann Gründe, die im familiären oder allgemein privaten Umfeld liegen, statt in Erfahrungen mit dem Berufsfeld und/oder mit der Ausbildung.

Berufsbiografische Affinität zu erzieherischen Berufen

Diese Personengruppen sind im Allgemeinen hochmotiviert und sehr engagiert in der Schule und in der Praxis. Es gibt häufig eine berufsbiografische Affinität zu den erzieherischen Berufen, sodass nur selten ein/e Quereinsteiger/in in völliger Unkenntnis und ohne einen Bezug zum Berufsfeld in diese Ausbildung einsteigen. Sicher besteht eine Herausforderung für diese Personengruppe darin, nach einigen Jahren der – durchaus auch oft recht erfolgreichen – Berufstätigkeit in einem anderen Berufsfeld sich wieder in der Schule in die Rolle einer Schülerin oder eines Schülers einzufinden. Ähnlich mag es auch in der Praxis manchmal herausfordernde Situationen geben, mit der Unsicherheit und der fehlenden Erfahrung zurechtzukommen. Es ist allerdings die Frage, ob ein Vorpraktikum an dieser Stelle signifikant vorbeugt.

Finanzierung während der Ausbildung – Träger gefragt

Eine weitere Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler ist sicherlich die Frage der auskömmlichen Finanzierung während der Ausbildung, da eine (weitere) Vollzeittätigkeit sicher nicht möglich ist. Die Regelungen nach AFBG (Meister-BAföG) als zusätzliche Sicherung werden durch die Ausbildungsstruktur an den Fachschulen erfüllt, jedoch stellt das Meister-BAföG keinen vollwertigen finanziellen Ersatz einer vorher ausgeübten Vollzeittätigkeit dar. So bedeutet die Weiterbildung zur Erzieherin/zum Erzieher für viele sicherlich auch eine Zeit finanzieller Engpässe. Es gibt vonseiten des Bildungsministeriums allerdings keine Möglichkeit, hier Unterstützung zu leisten. Hier sind aus unserer Sicht vor allem die Träger gefragt, die in berufsbegleitenden oder praxisintegrierten Formen der Ausbildung eine Teilzeitbeschäftigung neben der Weiterbildung ermöglichen können.

Bundesweit gibt es in unterschiedlichem Maße einen Fachkräftebedarf, in manchen Regionen Schleswig-Holsteins zeichnet sich ebenfalls ein Fachkräftebedarf an Erzieher/innen ab.  
Wie wird sich die Teilzeit-Ausbildung in Schleswig-Holstein – im Hinblick auf fachfremde Berufswechsler/innen – in Zeiten des Fachkräftebedarfs weiterentwickeln? Und welche Maßnahmen sind notwendig, um die Qualität der Teilzeitausbildung, insbesondere für die Zielgruppe der fachfremden Berufswechsler/innen, zu sichern?

Auch in Schleswig-Holstein gibt es einen Fachkräftebedarf in bestimmten Regionen und in verschiedenen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern, obwohl das Bildungsministerium seit 2009 die Ausbildungskapazitäten annähernd verdoppelt hat. Das Ministerium für Schule und Berufsbildung hat auf diese Situation in enger Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung reagiert und in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt des Landes eine mindestens zweizügige Fachschule eingerichtet.

Berufsbegleitende Teilzeitformen nehmen zu

Daneben wurde durch Änderung der Fachschulverordnungen den Schulen ermöglicht, in den Regionen je nach Bedarf verschiedene Organisationsformen der Ausbildung zu etablieren. So gibt es neben der in Schleswig-Holstein klassischen Form der dreijährigen vollzeitschulischen Weiterbildung mit integrierten Praktika auch verstärkt berufsbegleitende Teilzeitformen, die durch einen verringerten Stundenplan den Schülerinnen und Schülern parallel Beschäftigungsverhältnisse zur Sicherung des Lebensbedarfs ermöglichen. Bei einschlägigen Tätigkeiten können diese auf die Praxiszeiten der Ausbildung angerechnet werden. Es gibt daneben für Absolvent/innen einschlägiger Erstausbildungen (Sozialpädagogische Assistent/innen) die Möglichkeit, die Ausbildung in verkürzter Form zu durchlaufen.

Anrechnung auf den Fachkraftschlüssel in enger Abstimmung mit den Landesheimaufsichten

Es ist geplant, in Schleswig-Holstein, ähnlich wie in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern, eine praxisintegrierte Form der Ausbildung zu etablieren. Derzeit gibt es auf allen Ebenen Gespräche mit Trägerverbänden, eventuell zunächst über Modellprojekte, eine vergütete Form der Weiterbildung zu entwickeln. Die Frage der Anrechnung der Schülerinnen und Schüler in diesen praxisintegrierten Weiterbildungen auf den Fachkraftschlüssel erfolgt in enger Abstimmung mit den Landesheimaufsichten. Die Erkenntnisse aus der Bestandsaufnahme „(Quereinstiegs-)Wege in vergütete Ausbildungsformen und in den Beruf der Erzieherin/des Erziehers“ der Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg/Männer in Kitas“ ist in dieser Frage allerdings sehr interessant und beachtenswert.

Quereinstiegsmöglichkeiten in Schleswig-Hostein | Link zur Seite

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