03.11.2019

Vom Erweckungserlebnis zum Wahlpflichtfach „men only“

Walter Josef Engelhardt, Supervisor und Fortbildner, war früher Dozent für Sozialpädagogik an der evangelischen Fachakademie Nürnberg. Er blickt auf zehn Jahre Koordinationsstelle zurück.

Foto: privat.

Darf ich mich vorstellen?

Anfang des Schuljahres 1992/93 beschwerten sich bei der Vorstellung der Wahlfächer in der Evangelischen Fachakademie Nürnberg einige Studenten darüber, dass es einerseits besondere Angebote für Studentinnen gäbe, andererseits für sie als Männer entsprechende in der Ausbildung fehlen würden, dabei wären doch sie schon zahlenmäßig das „benachteiligte Geschlecht“!

Rückblickend betrachte ich diese Situation als „mein persönliches Erweckungserlebnis“ in Sachen Männer in Kitas: Für die männlichen Studierenden gab es mit diesem Ausbildungsjahr ein besonderes Wahlpflichtfach, das ich kontinuierlich bis zu meinem Ruhestand 2015 anbieten konnte.

Die Suche nach grundlegenden Informationen und auch motivierten Kollegen führte mich über die Teilnahme am „Bundesfachkreis für Männer in Kita und Grundschule“, die jährlichen Männertreffen in verschiedenen Bundesländern, schließlich vor zehn Jahren zur neu eingerichteten „Koordinationsstelle“, mit dem besonderen Auftrag „Mehr Männer in Kitas“.

Was bis dahin vor allem über Eigeninitiative einzelner sehr engagierter Männer am Leben und Laufen gehalten wurde, bekam nun als Forum eine personell, fachlich und strukturell entsprechend ausgestattete Institution.

Die Arbeit der Koordinationsstelle aus der Sicht eines Nutzers

Hier konnte nun eine vielfältige, bundesweite Arbeit entfaltet und gebündelt werden, was vorher einzelne Personen, im Bundesgebiet weit verstreut lebend und arbeitend, häufig neben ihrer Berufstätigkeit stemmen mussten. Einen deutlichen Aufschwung bekam die Arbeit in Nürnberg durch das Projekt, das neben dem Augsburger in Bayern gefördert wurde. Die evangelische und die städtische Fachakademie, vorher eher konkurrierende Institutionen, wurden beteiligt.

Mit der Argumentation „die Koordinationsstelle in Berlin“ befürwortet die kontinuierliche Beteiligung, gelang es, die Träger dieser beiden Ausbildungsinstitutionen zu bewegen, jeweils einen Dozenten mit einschlägigen Kompetenzen, mit zwei Jahreswochenstunden freizustellen, die anschließend von der Kommune rückfinanziert wurden. Eine Kooperation in dieser ungewöhnlichen Konstruktion wäre ohne die Unterstützung der Koordinationsstelle, namentlich besonders Dr. Tim Rohrmann, und die Reputation die von Berlin ausging wohl kaum realisierbar gewesen. Damit konnte in den historisch eingefahrenen, hemmenden Strukturen Neuland beschritten werden.

Diese enge Zusammenarbeit hat sicherlich auch die deutlich höhere Anzahl männlicher Bewerber, nicht nur an diesen beiden Ausbildungsstätten, sondern insgesamt in der Region, zur Folge gehabt. So stieg der Anteil der männlichen Mitarbeiter beim städtischen Jugendamt im Projektzeitraum von zunächst 5,4% zu Beginn bis zum Ende auf nahezu das Doppelte (10,6%). Das Interesse männlicher Jugendlicher an dem Erzieherberuf stieg in der Region deutlich an.

Verstetigung und Nachhaltigkeit der im Projektzeitraum begonnenen Arbeit konnte über drei Jahre hinweg durch jährliche „Genderfortbildungen“ (dreimal zweitägig) des Jugendamtes der Stadt Nürnberg erreicht werden. Die Fortbildungen wurden auch personell durch die Delegation geschlechtsgemischter Tandems beider Fachakademien durchgeführt.

Bei einer Gesamtzahl von ca. 1200 Mitarbeitenden waren insgesamt nach Beendigung des Projekts ca. 250 Personen mit Themen und Anliegen einer geschlechtersensiblen Pädagogik fortgebildet worden. Zusätzlich zu den während des laufenden Projekts einbezogenen Mitarbeitern kann davon ausgegangen werden, dass in nahezu jeder städtischen Kita Personen tätig sind, die Vorstellungen zur geschlechtersensiblen Arbeit in der Kita entwickeln können und wo das Thema in den Teams reflektiert behandelt wird.

Einen wichtigen Beitrag stellen hier auch die Materialien der Koordinationsstelle, insbesondere die „Handreichungen für die Praxis“ dar, damit wurden Unterlagen entwickelt, die weit über das bisher bekannte Ratgeberniveau hinausgehen und auch theoretische Herleitungen entfalten und kontroverse Diskussionen mit anregen.

Und was bleibt?

In den letzten Berufsjahren bis 2015 und jetzt im Ruhestand als freiberuflicher Supervisor und Fortbildner kann ich rückblickend feststellen, dass die Geschlechterthematik wirklich in den Einrichtungen angekommen ist, konzeptionell verarbeitet wird und auch im Alltag zunehmend mehr gelebt wird.

Die Kooperation zwischen den Ausbildungsstätten konnte durch das Projekt zumindest regional intensiviert werden. Eine einschlägige Fortbildungsveranstaltung für Lehrende an Bayerischen Fachakademien, mit Jens Krabel als Referenten, ermöglichte den Aufbau von Netzen, Austausch von Unterrichtskonzepten und Mitwirkung von Dozent*innen anderer Fachakademien bei einschlägigen Veranstaltungen der Ausbildungsstätte.

Die Erfahrung war – mit Männern geht es auch anders, nämlich mit Leichtigkeit und Humor und nicht mit häufigem Machtgerangel und akademischem Pfauentum. Das heißt gemeinsam Spaß zu haben, Kreistänze auszuprobieren oder Qigong im Park während der Seminarpausen u.a.m.. Auch diese Erfahrungen werden in lebendiger Erinnerung bleiben.

Ebenso die Netze der Kooperation und des Kontakts, die in unterschiedlicher Intensität, teils auch die Qualität von langjährigen Freundschaften erreicht haben.

Wenn ich von einem ehemaligen Studierenden eine Mail bekomme: „Hi alter Dozent, weißt du noch wer ich bin? Schreibe jetzt meine Masterarbeit, Arbeitstitel ‚Gemischte Teams in der Kita. Chancen und Probleme‘. War eine gute Zeit bei euch, Danke nochmal. Hoffe es geht gut – Grüße an die Kollegen.“ – Ja, dann ist mir wieder deutlich, dass es sich gelohnt hat, gerade diese Arbeit zu machen.

Und damit ganz herzlichen Dank an die Menschen, die die Koordinationsstelle über die zehn Jahre hinweg verkörpert haben!