08.10.2018

Heterogene Teams brauchen Zeit

Leitungen und Teams müssen gestärkt werden, damit sie ihr Potential voll ausschöpfen können. In einem Interview erzählt Valeska Pannier, wie Heterogenität in Kitas zum Gewinn werden kann und welche Herausforderungen damit verbunden sind.

Foto: privat.

Wie können in einem Kitateam unterschiedliche Qualifikationen, Kompetenzen sowie Lebens- und Berufserfahrungen der Fachkräfte zusammengeführt und genutzt werden? Was bedarf es für eine gute Prozessqualität? Eines der Fachgespräche bei unserer Fachveranstaltung vom 14. bis 15. November wird sich mit diesen Fragen beschäftigen. Auch Valeska Pannier von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung wird mitdiskutieren.

Valeska Pannier ist seit 2010 bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung tätig. Aktuell leitet sie das Bundesprogramm Qualität vor Ort und ist stellvertretende Abteilungsleiterin für Programme im Handlungsfeld frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung. Sie ist Diplom-Psychologin mit den Schwerpunkten Lernen und Entwicklung und absolvierte eine psychotherapeutischen Weiterbildung in der Methode Psychodrama nach Jacob L. Moreno. Seit 2009 arbeitet sie nebenberuflich auch als Dozentin.

Frau Pannier, wie stellt sich Heterogenität in der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung dar?

Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung hat 2015 die Charta der Vielfalt unterzeichnet und damit einen Veränderungsprozess angestoßen, der u.a. alle Mitarbeitenden zu Diversity-Schulungen verpflichtet, um eine diskriminierungs- und klischeefreie Arbeit zu befördern. Auch das Leitbild der Stiftung wurde verändert und eines unserer strategischen Ziele ist, bis 2020 in noch diverseren Teams arbeiten zu wollen. Vielfalt wertzuschätzen und zu ermöglichen, ist ein zentrales Anliegen, das wir sowohl auf unsere eigene Zusammenarbeit als auch auf die Konzeption und Umsetzung unserer Stiftungsprogramme beziehen. Besonders deutlich wird Heterogenität in der DKJS momentan durch die große Pluralität beruflicher Abschlüsse und Erfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jedes Programmteam ist interdisziplinär besetzt und die teamübergreifende Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aller Abteilungen prägen den Stiftungsalltag.

Woran zeigt sich, dass Heterogenität ein Gewinn für Kitas sein kann? Woran zeigt sich aber auch, dass Heterogenität mit Herausforderungen verbunden ist?

Heterogenität in Kita-Teams bedeutet, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen beruflichen Kompetenzen und persönlichen Erfahrungen, mit sehr verschiedenen Perspektiven und damit auch unterschiedlichen Überzeugungen und Einstellungen zusammenarbeiten. Schon heute ist das in vielen Kitas üblich. Dort sind, ergänzend zu Erzieherinnen und Erziehern, z.B. Therapeuten, Pädagoginnen, Sozial- und Naturwissenschaftlerinnen, Köchinnen oder Handwerker tätig.

Teamentwicklung in heterogenen Teams

Damit diese Vielfalt zu einem Vorteil wird, sollten einige Dinge beachtet werden: Es muss mehr Zeit und Energie darauf verwendet werden, gemeinsame Ziele zu entwickeln und Aufgaben und Rollen im Team zu klären und kompetenzorientiert zu verteilen. Es ist darüber hinaus wichtig, eine von allen gesprochene professionelle Sprache sowie einen „Berufsethos“ zu etablieren. Im Idealfall entsteht eine Teamphilosopie, die als Basis dient und Verbundenheit herstellt. Das gilt natürlich auch für homogenere Teams. Wie wichtig ein bewusster Prozess der Teamentwicklung ist, wird in heterogenen Teams jedoch besonders deutlich.

Vielfältige Angebote

Kitas sind ein zentraler Ort der Sozialisation und sie tragen entscheidend dazu bei, welche Welt Kinder kennenlernen und entdecken können. Es ist darum ein großer Gewinn, wenn Kinder z.B. erleben, dass es Normalität ist von Menschen umgeben zu sein, die unterschiedliche Sprachen sprechen, die verschiedene Dinge gut können und damit den Kindern auch ganz vielfältige Angebote machen bzw. unterschiedliche Aktivitäten der Kinder unterstützen können. Bauen, musizieren, malen, kochen, schnitzen, toben, Geschichten erfinden, philosophieren, reparieren, in Rollen schlüpfen, experimentieren, Natur erforschen – all das und noch viel mehr wollen Kinder ausprobieren und lernen. Doch auch mit der besten Ausbildung können Erzieherinnen und Erzieher nicht alle diese Dinge in gleicher Weise gut begleiten und warum sollten wir das von ihnen auch erwarten? In heterogenen Teams ist es leichter, Aufgaben entsprechend unterschiedlicher Kompetenzen zu verteilen.

Bedeutung pädagogischer Komptenzen

Es bleibt jedoch notwendig zu klären, in welcher Weise es möglich ist, Menschen ohne pädagogisches Fachwissen tatsächlich in Kita-Teams zu integrieren. Durch Eltern, Ehrenamt oder Freiwilligendienst, finden schon vielfältige Kompetenzen ihren Weg in die Kitas und werden von den Kindern meist sehr geschätzt. Dennoch muss spezifisches Fachwissen für die direkte Arbeit mit Kindern erst erworben werden. Kindern entsprechend ihrer Interessen passende Lernmöglichkeiten zu bieten und feinfühlig auf Gefühle zu reagieren erfordert professionelle pädagogische Kompetenzen. Wie stelle ich beispielsweise den Kontakt zu Kindern her, so dass wirklich alle engagiert und neugierig an Angeboten teilnehmen und sich einbringen können? Wie erreiche ich die zurückhaltenden Kinder oder die mit sprachlichen oder sonstigen Hürden? Fehlt dieses Wissen besteht wie so oft gerade für benachteiligte Kinder ein Risiko, nicht teilhaben zu können und erneut benachteiligt zu werden. Auch darf eine Spezialisierung nicht zu einer thematischen Verengung oder zu einer einseitigen Angebotsorientierung führen, sondern die Richtschnur müssen die Interessen und Bedürfnisse der Kinder sein.

Qualität in heterogenen Teams

Um diese Kompetenzen zu erlernen, sind neben theoretischen Grundlagen die Reflexion im Team, Feedback von Kolleginnen und Kollegen und direkte Anleitung wichtig. Und auch wenn vielfach erfahrene Fachkräfte in die Rolle der Praxisausbilderinnen und -ausbilder für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger schlüpfen, brauchen sie dafür ebenfalls Zeit und teilweise wiederum selbst neues Wissen. Fehlt die Zeit oder stimmt die Kommunikation im Team nicht, entstehen im schlechtesten Fall Überforderung und Frustration auf allen Seiten. Habe ich als Erzieherin oder Erzieher noch die Sicherheit, dass meine langjährige Ausbildung und Berufserfahrung ausreichend gewürdigt und anerkannt wird? Kann ich als Quereinsteigerin oder Quereinsteiger mein Wissen aus meiner früheren Tätigkeit aktiv einbringen oder habe ich den Eindruck, komplett bei Null zu starten? Wird von mir als „Neuling“ erwartet, dass ich vom ersten Tag an vollwertig als Teammitglied funktioniere? Schaffen wir Zeit für die Verständigung im Team und sind offen dafür, unsere Handlungen zu erklären, damit andere davon lernen können und erlauben wir uns Nachfragen und Fehler? Wenn auf diese Fragen gemeinsam Antworten gefunden werden, dann bereichert ein vielfältiges Team die Qualität der pädagogischen Arbeit und die persönliche Zufriedenheit jeder und jedes einzelnen.

Welche Schritte müssten Kitas gehen um sich hinsichtlich Heterogenität weiter zu entwickeln? Was müsste dazu ggfls. gesellschaftspolitisch angeschoben werden?

Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung unterstützt seit vielen Jahren Kitas und ihre Träger im ganzen Bundesgebiet dabei, ihre eigene Arbeit und Qualität kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dabei machen wir immer wieder die Erfahrung, dass es gerade in Kita-Teams eine unglaubliche Lern- und Entwicklungsbereitschaft gibt. Heterogenität ist dabei in vielen Einrichtungen ein großes Thema – das sich aber häufig v.a. auf die Vielfalt der Kinder und Familien in der Einrichtung bezieht und noch eher selten auf die Vielfalt innerhalb der Teams. Im Programm WillkommensKITAS, an dem Einrichtungen teilnehmen können, die geflüchtete Kinder aufnehmen, finden die Fachkräfte beispielsweise Antworten auf zunächst herausfordernde Fragen: Wie gehen wir mit kultureller und sozialer Vielfalt um? Wie gestalten wir eine gelungene Erziehungspartnerschaft mit mehrsprachigen Familien? Wie kann Vielfalt und Unterschiedlichkeit bereichernd und nicht belastend sein? Viele Kitas machen dabei die Erfahrung, dass es mit der richtigen Unterstützung sehr gut gelingt, alle Kinder willkommen zu heißen und sich im Alltag irgendwann die Wahrnehmung verschiebt: Unterschiede sind dann nichts Trennendes mehr, sondern bilden die beste Grundlage für ein starkes Miteinander. Für die Zusammenarbeit in einem heterogenen Team lässt sich aus diesen Erfahrungen einiges übertragen: 

Veränderungen wertschätzend begleiten

Erstens ist eine gute Begleitung von außen hilfreich, wenn große Veränderungen anstehen. Gerade in einem hektischen Alltag ist es nicht selbstverständlich, Zeit für Reflexion und gemeinsame Planung einzuräumen. Insbesondere in neu zusammengestellten Teams oder wenn Menschen mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen oder auch mit verschiedenen Überzeugungen zusammenarbeiten, können leicht Missverständnisse und Konflikte entstehen. Veränderungen sind nur dann eine Chance für eine positive Entwicklung, wenn sie gut begleitet werden und gegenseitige Wertschätzung ermöglicht wird. Das gelingt leichter, wenn es eine geeignete Unterstützung des Teams durch Fachberatung, Supervision oder Moderation gibt.

Leitungskräften den Rücken stärken

Zweitens muss Leitungskräften in ihrer Schlüsselfunktion für die Teamleitung der Rücken gestärkt und freigehalten werden. Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, ein diverses Team so zu führen, dass alle motiviert sind und sich entsprechend der Kompetenzen einbringen und fachlich weiterentwickeln können. Hier profitieren Leitungskräfte stark von Coaching und Beratung, aber auch dem Austausch mit anderen Leitungen. Ihnen dafür zeitliche Freiräume zu schaffen oder administrative Aufgaben abzunehmen, würde den Aufbau heterogener Teams befördern.

Transparenz und Interesse

Drittens ist die fachliche Entwicklung des Teams als Einheit entscheidend dafür, dass sich Vielfalt auch positiv auswirken kann. Einfach gesagt: wenn im Team jede und jeder das eigene Wissen und Können für sich behält und wenn es andersherum kein Interesse, an dem Wissen und Können von Kolleginnen und Kollegen gibt, dann ist Vielfalt verschenkt oder im schlimmsten Fall sogar etwas Trennendes. Besteht aber die Möglichkeit, sich gegenseitig zu beraten und gemeinsam Ideen zu entwickeln, können alle offen mit Fragen auf Spezialistinnen und Spezialisten im Team zugehen. Und wenn es Freude macht, sich gemeinsam auf den Weg nach Antworten zu machen, dann schöpfen heterogene Teams ein größeres Potential aus, als es homogene Teams können.

Vielfältige Angebote durch sozialräumliche Vernetzung

Neben der notwendigen Diskussion um die Weiterentwicklung und Professionalisierung von Kita-Teams gibt es jedoch noch etwas Weiteres zu beachten: Viele der Vorteile heterogener Teams kommen auch zum Tragen, wenn es verlässliche und kontinuierliche Kooperationen zwischen der Kita und anderen Profis und Expertinnen und Experten in der Nachbarschaft, der Gemeinde oder der Stadt gibt. Die sogenannte sozialräumliche Vernetzung mit Partnern vor Ort trägt ebenfalls dazu bei, den Kindern und Familien vielfältige Angebote zu machen und sie bestmöglich zu unterstützen. Wie gut das gelingt, zeigen beispielsweise die Preisträgerinnen und Preisträger der Kategorie „Lokales Bündnis für frühe Bildung“ des Deutschen Kita-Preises.

DANKE für die Beantwortung der Fragen!