03.11.2019

Aus dem Blickwinkel von Männern erschienen manche Themen und Probleme in einem anderen Licht

Dr. Katharina Greszczuk, Judith Ehlke, Thomas Spitzer und Christian Hoenisch, Referat „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ über Erfolge und Erkenntnisse.

Dürfen wir uns vorstellen?

Dr. Katharina Greszczuk ist Referatsleiterin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Judith Ehlke, Thomas Spitzer und Christian Hoenisch sind Mitarbeitende im Referat von Dr. Katharina Greszczuk und haben die beiden Programme „MEHR Männer in Kitas“ und „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ von Anfang an begleitet.

An welches Erlebnis mit der Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg/Männer in Kitas“ denken Sie gerne zurück?

An ganz viele.
Zum Beispiel, als bei einer Power-Point Präsentation plötzlich die Dinge auf der Leinwand in den Hintergrund verschwanden und andere sich dynamisch in den Vordergrund drängten: Prezi ist der Fachausdruck! Ein kleines Beispiel dafür, wie es der Koordinationsstelle immer wieder gelang, neue Wege der Vermittlung zu finden und erfolgreich zu beschreiten, sei es bei Veranstaltungen, Aktionstagen, Öffentlichkeitsarbeit oder auch nur bei Arbeitstreffen.

Wir hatten nie den Eindruck, dass da Neuerungen um ihrer selbst willen eingeführt wurden. Stets waren die neuen Formate sehr gut geeignet, die Sache voranzubringen und alle einzubinden und zu motivieren, auch wenn schon mal ein kleines Teil verloren ging, so wie das Puzzleteil am Tag der offenen Tür der Bundesministerien. Das extra für diesen Tag von der Koordinationsstelle entwickelte Puzzle einer Deutschlandkarte stellte den Anteil der männlichen Erzieher in den einzelnen Bundesländern dar und war Teil einer Mitmach-Aktion für die Gäste des Bundesfamilienministeriums. Und ausgerechnet das Teil mit der richtigen Antwort für das Gewinnspiel war auf einmal spurlos verschwunden – wahrscheinlich von einem Gast als Give-Away missverstanden.

Das gemeinsame Anliegen in guter Zusammenarbeit voranzubringen, stand im Mittelpunkt ihrer Arbeit, auch wenn es nicht immer leicht war. Dazu haben diese verschiedenen Methoden beigetragen. Und nicht zu vergessen der gute Teamgeist und die personelle Kontinuität in der Koordinationsstelle, was wir persönlich immer sehr geschätzt haben. Wir haben viel zusammen gelacht, und dazu mussten wir nicht in den Keller hinabsteigen. Das hat vieles leichter gemacht.

Seit der ersten Studie zur Situation von Männern in Kindertagesstätten (Kitas) 2009 hatten wir mit der Koordinationsstelle einen stets wachsenden Wissensschatz, auf den wir immer zurückgreifen konnten. Das hat uns in unserer Arbeit – innerhalb des Ministeriums ebenso wie nach außen – enorm geholfen. Für diese tolle Zusammenarbeit bedanken wir uns ganz herzlich!

Wir haben in den letzten Jahren im Rahmen der Modellprogramme „MEHR Männer in Kitas“ und „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ zusammengearbeitet, u.a. um den Anteil männlicher Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen zu steigern und um die Ausbildung modellhaft geschlechtersensibler und erwachsenengerechter zu gestalten. Wie hat sich das Themenfeld aus Sicht des Referats in den letzten Jahren entwickelt?

Als wir begannen, uns mit dem Thema zu befassen, waren „Männer in Kitas“ extrem selten – ein „Exotenthema“. Wenn man es ansprach, sah man in der Regel zwar keine Dollarzeichen in den Augen der Gegenüber, sondern Fragezeichen – und zwar ganz viele.

Was kam, waren oft von Geschlechterstereotypen geprägte Bemerkungen („Ist das was für Männer?“ „Die müssen doch richtig verdienen!“ „Können die das?“). Neben Skepsis gab es allerdings auch viel Neugier und relativ wenig rigorose Ablehnung.

Sicherlich sorgte auch der immense Fachkräftebedarf im erzieherischen Bereich wegen des Ausbaus der Kindertagesbetreuung für eine größere Offenheit. Die Frage, ob den Frauen der Job weggenommen werden sollte, stellte sich deswegen nicht. Schwierig war eher, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, dass es sich bei ‚Männern in Kitas‘ nicht um ‚Notnägel‘ handelt, sondern dass hinter diesem Programm ein folgerichtiges gleichstellungspolitisches Konzept steht.

Es gelingt zunehmend, mehr Männer für die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher zu gewinnen und damit auch mehr Männer in Kitas. Gleichzeitig werden die Themen Gender und Gleichstellung in der professionellen Praxis und in der Ausbildung, aber auch im öffentlichen Diskurs verankert und generell auf eine klischeefreie Berufs- und Studienberatung hingewirkt.

Was waren aus Ihrer Sicht in diesem Zeitraum einschneidende (vielleicht auch persönliche) Erlebnisse? Welche Rolle spielte die Koordinationsstelle dabei?

Eine Kollegin berichtete vom Gespräch mit einer Mutter. Diese äußerte sich sehr positiv zu Männern in Kitas: „Wäre toll gewesen, wenn mein Sohn auch einen Erzieher in der Kita gehabt hätte!“ Auf den Vorschlag, dass dieser Beruf vielleicht auch etwas für ihren Sohn sein könnte, reagierte sie jedoch mit vehementer Ablehnung.
Solche Widersprüche aufzudecken und positiv mit ihnen umzugehen, sie abzubauen, war eine der großen Stärken der Koordinationsstelle. Sie hat mir ihrer fachlichen und wissenschaftlichen Arbeit,
ihren guten Vernetzungsstrukturen und ihrer innovativen Öffentlichkeitsarbeit wesentlich dazu beigetragen, die Themen „Männer und Gender in Kitas“ und „Quereinstieg“ in den Fachdiskurs zu etablieren.

Was war überraschend? Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Sehr erfreulich, aber überraschend war, dass sich die heftigen Diskussionen um den Kindesmissbrauch in Institutionen, die 2010 mit den Enthüllungen am Canisius-Kolleg in Berlin begannen, nicht negativ auf das Modellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ ausgewirkt haben. In diesen Auseinandersetzungen hat uns sehr geholfen, dass sich die Studie von 2009 bereits mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Sie liefert Hinweise, dass die positive Resonanz auf Männer in Kitas nicht unreflektiert ist. Die Konsequenz daraus war dann, dass die Koordinationsstelle zusammen mit den Projekten aus „MEHR Männer in Kitas“ die Handreichung zum Generalverdacht erarbeitet hat.

Eine überraschende Erkenntnis war, dass die Arbeitsagenturen den Bedarf an Erziehern und Erzieherinnen falsch einschätzten, weil offene Stellen ihnen gar nicht gemeldet werden. Das regeln die Träger meist direkt mit den Berufsfachschulen. So haben die Arbeitsagenturen keinen Fachkräftemangel diagnostiziert (obwohl die Medien voll davon waren) und demzufolge auch keine entsprechenden Umschulungen veranlasst.

Deutlich wurde, dass die Berufswahl junger Männer sehr stark unter dem Einfluss der Eltern und der Peer Group erfolgt. Dabei spielen Geschlechterstereotype eine große Rolle. Deswegen ergreifen sie häufig wenig zukunftsträchtige („Männer“-)Berufe des produzierenden Gewerbes. Im Alter von 35 bis 45 Jahren streben dann viele einen Wechsel in andere Berufe an, die „mit Menschen“ zu tun haben.

Wir haben eine weitere Erkenntnis gewonnen: Die schulische Ausbildungsform benachteiligt Frauen (und Männer) und trägt auch zur Entgeltungleichheit bei. Personen in solchen Ausbildungen – überwiegend für pflegerische, soziale und erzieherische Berufe – sind zu ca. 80 % Frauen und diese erhalten zumeist keine Ausbildungsvergütung, sondern müssen eher noch Schulgeld zahlen. Durch die bis zu fünf Jahre dauernde Ausbildung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher kann u.U. zwei Jahre keine Rentenanwartschaft entstehen.

Vor diesem Hintergrund brauchen wir neue Ausbildungswege in den Beruf, wie vergütete, praxis-integrierte Ausbildungen. Für Menschen, die den Beruf wechseln wollen, muss sie erwachsenengerecht ausgestaltet werden, so wie es im Programm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ getestet und jetzt auch von immer mehr Bundesländern angeboten wird.

Es ist gelungen, die Vielfältigkeit der Fachkräfte der frühkindlichen Erziehung und Bildung darzustellen und die Professionalität dieser Arbeit deutlich zu machen. Eine Reihe von Themen und Problemen konnten in den Programmen „MEHR Männer in Kitas“ und „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ erkannt werden, weil sich die Perspektive änderte und aus dem Blickwinkel von Männern manches in einem anderen Licht erschien.

Jetzt geht es ganz allgemein um die Aufwertung und die gesellschaftliche Anerkennung dieses verantwortungsvollen und vielseitigen Berufes. Gleichzeitig rückt eine klischeefreie Berufs- und Studienberatung immer mehr in den Mittelpunkt und erhält verstärkt Unterstützung in der (Fach-)Öffentlichkeit.