05.06.2018

Zwischenruf des Deutschen Jugendinstituts

In multiprofessionellen Teams soll das Spezifische der jeweils anderen Profession für die Gestaltung der Kindertagesbetreuung, für die Eröffnung von Erfahrungswelten genutzt werden. Interview mit Mike Seckinger

Foto-Credit: David Ausserhofer

Die Mitgliedergruppe Personal und Qualifikation in der AGJ hat einen „Zwischenruf zur Debatte um „duale“ Ausbildungs- und Studiengänge, die für das Feld der Kinder- und Jugendhilfe qualifizieren sollen“ veröffentlicht. Darin fordern die Unterzeichner/innen auf, „endlich eine umfassende Bildungsperspektive für das Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe sicherzustellen (dies betrifft sowohl Erzieher/innen als auch Absolvent/innen von Studiengängen) und damit eine Berufswegplanung für die Beschäftigten und potentiellen Bewerber/innen zu gewährleisten."

Wir haben Mike Seckinger, den Koordinator der Mitgliedergruppe Personal und  Qualifizierung der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, die den Zwischenruf gemeinsam formulierte, schriftlich dazu befragt.

Mike Seckinger ist promovierter Diplom Psychologe und seit 1992 in der Jugendhilfeforschung am Deutschen Jugendinstitut aktiv. Er hat an mehreren bundesweiten Studien zum Ausbau der Kindertagesbetreuung und Weiterentwicklungsbedarfe kommunaler Jugendhilfe mitgewirkt.

Herr Seckinger, Was sind aus Ihrer Sicht zentrale Elemente einer solchen von der AGJ geforderten umfassenden Bildungsperspektive?

Zu einer umfassenden Bildungsperspektive gehört nach unserem Verständnis zuallererst eine generalistische grundständige Ausbildung, die den Absolvent_innen eine Vielzahl von beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet und das Gegenteil von einer Sackgassenausbildung darstellt. Mit dieser Ausbildung muss ein Abschluss auf dem DQR-Level 6 erreichbar sein. Im Anschluss daran muss es klar definierte Wege der horizontalen und vertikalen Durchlässigkeit geben, die es den Fachkräften ermöglicht, sich je nach Bedarf und persönlichen Wünschen beruflich weiterzuentwickeln. Hierzu bedarf es besserer und vor allem transparenterer Verfahren zur Anrechnung bereits erworbener Kompetenzen ebenso wie ein breiteres Angebot an Zusatzqualifikationen und Spezialisierungen im Feld der Kindertagesbetreuung.

Sie fordern dazu auf Unschärfen bei der Verwendung der Begriffe „dual“, „berufsbegleitend“ und „berufsintegrierend“ aufzulösen und sich auf eine einheitliche Sprachform zu einigen.“ Wieso ist ein einheitlicher Begriff so wichtig und wie könnte Ihrer Meinung nach die Einigung auf einen Begriff gelingen?

Die unscharfe Verwendung der der drei Begriffe „dual“, „berufsbegleitend“ und „berufsintegrierend“ wirkt nach unserer Einschätzung eher verwirren als zur orientierend. Die großzügige Verwendung des Adjektivs „dual“ erzeugt Bilder von einer zukünftigen Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, die erstens unzutreffend und zweitens aus fachlichen Gründen nicht wünschenswert sind. Duale Ausbildungen nach dem Berufsbildungsgesetz (BBIG) sind dadurch gekennzeichnet, dass die Auszubildenden überwiegend im Betrieb durch angeleitetes praktisches Handeln ihren Beruf erlernen und sich mit einem im Verhältnis dazu geringen Zeitanteil in der Berufsschule theoretisch weiterbilden. Für die Sicherung der Ausbildungsqualität sind Berufsschulen und Kammern gemeinsam zuständig. Eine Kammer für soziale Berufe bzw. Erzieherinnen und Erziehern besteht jedoch nicht. D.h., selbst wenn man sich darauf einigen würde, eine „duale“ Ausbildung einzuführen, würde dies einen erheblichen zeitlichen Vorlauf benötigen.

In der öffentlichen Debatte wird nach unserer Wahrnehmung „dual“ häufig als Chiffre für eine bezahlte Ausbildung verwendet. Diese Frage ist jedoch unabhängig von der Ausbildungsform zu regeln.

Gerade angesichts der sehr unterschiedlichen Modelle zur Weiterentwicklung der Ausbildung erscheint es im Sinne einer Qualitätssicherung notwendig, die Begriffe „dual“, „berufsbegleitend“ und „berufsintegrierend“ in einer Art und Weise zu verwenden, die es auch Laien ermöglicht, schnell zu verstehen, was damit gemeint ist. Selbstverständlich soll es auch weiterhin differenzierte Ausbildungsgänge in das Berufsfeld geben. Die Bezeichnungen der Ausbildungsgänge sollen Auskunft darüber geben, welches Ausbildungsniveau damit erreicht werden kann, in welcher Art und Weise sich Praxis und Theoriephasen abwechseln, ob die Ausbildung auch in Teilzeit, bei dann verlängerter Ausbildungsdauer möglich ist oder auch inwiefern berufliche Vorerfahrungen angerechnet werden können.  Aus unserer Perspektive wird es deshalb erforderlich sein, die Besonderheit einzelner Ausbildungsgänge mit mehreren Wörtern zu beschreiben, z.B. in Teilzeit, mit Ausbildungsvergütung und integrierten Praxisphasen organisierte Ausbildung oder Vollzeitausbildung an einer Fachschule/ Fachakademie mit anschließendem Praktikumsjahr.

Im Diskurs um multiprofessionelle Teams bringen Sie eine „interdisziplinäre Neuausrichtung der Institutionen“ ins Spiel. Wie könnte eine solche Neuausrichtung für Kitas konkret aussehen?

Die Ausweitung der Zeiten, die Kinder in institutionellen Kontexten verbringen, führt zu der Frage, ob eine rein durch pädagogische Fachkräfte gestaltete Umwelt eine angemessene Umwelt zur Entwicklung von Kindern ist. Müssten nicht sehr viel mehr Elemente aus anderen Lebensbereichen in den Betreuungsalltag integriert werden? Dies könnte dadurch gelingen, dass Personen mit einer anderen Fachlichkeit in den Teams arbeiten. Dabei kann es nicht darum gehen, aus einer Künstlerin, einem Schreiner oder einer Computerspezialistin eine Erzieherin zu machen, sondern das Spezifische der jeweils anderen Profession für die Gestaltung der Kindertagesbetreuung, für die Eröffnung von Erfahrungswelten zu nutzen. Noch stehen wir am Anfang einer solchen Entwicklung und klar ist, die Idee multiprofessioneller Teams darf nicht dafür missbraucht werden, das Fachlichkeitsgebot zu unterlaufen.

Aus der Perspektive der Mitgliedergruppe würde die Bezeichnung interdisziplinäre Teams bevorzugt werden. Die disziplinäre Öffnung des Arbeitsfeldes soll schließlich dazu dienen, den Alltag in der Institution vielfältiger werden zu lassen, deshalb erscheint ein intensives Miteinander der verschiedenen Kompetenzen erstrebenswerter als ein Neben- oder Nacheinander.

Im Augenblick stehen wir alle noch am Beginn einer Debatte darüber, wie inter- bzw. multidisziplinäre Teams gestaltet werden sollten. In dieser Debatte wäre zu klären, ob veränderte Kriterien für die Bestimmung von Fachlichkeit angesichts der sich ausweitenden Betreuungszeiten (sowohl bezogen auf den Tag als auch auf die Lebenszeit) erforderlich sind. Auch sind die erforderlichen Rahmenbedingungen für inter- bzw. multidisziplinäre Teams zu klären, wie Einrichtungsgröße, Kooperationspart¬ner, Besucherstruktur, Höhe des Mindestanteils an sozialpädagogischen Fachkräften, Personalschlüssel etc. Es ist deshalb erforderlich, dass alle Akteure gemeinsam nach Wegen suchen, eine solche konzeptionelle Neuausrichtung zu erreichen. Zu diesen Akteuren gehören neben den öffentlichen und freien Trägern, den Mitarbeitenden und ihren Interessensvertretungen selbstverständlich auch die Politik, die Eltern und Kinder, die Ausbildungsinstitutionen und ihre Verbände sowie die Wissenschaft.