12.11.2018

Breite Zugangswege

„Wir möchten ganz gerne die quasi ‚duale Ausbildung‘. Wir sehen das als Perspektive für eine Vielfalt von Weiterentwicklungen.“ Interview mit Siegfried Hutsch aus Sachsen-Anhalt.

Foto: privat.

Siegfried Hutsch ist Leiter der Stabsstelle KiFöG (Kinderförderungsgesetz) beim Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration in Sachsen-Anhalt.

Welche Reformen oder Maßnahmen in Bezug auf die Erzieher/innenausbildung gibt es bei Ihnen im Bundesland oder sind gegenwärtig im Gespräch?

In der Tat ist es so, dass wir in unserem Bundesland ein Ausbildungsmodell haben zur „Staatlich geprüften Fachkraft für Kindertageseinrichtungen“, das zum 1.08.2015 begann. Es war ein Modellprojekt über drei Ausbildungszyklen, bei dem am 01.08.2015 die Ersten mit der Ausbildung begannen und in diesem Jahr die Ersten die Ausbildung abgeschlossen haben. Die Absolventinnen und Absolventen können nur in Kindertageseinrichtungen eingesetzt werden. Die Ausbildung wird nur in Sachsen-Anhalt anerkannt. Im Gegensatz zur Erzieher/innenausbildung konnte man sich hier direkt nach der Schule mit Realschulabschluss oder einem höherwertigen Abschluss zu einer Ausbildung im quasi „dualen System“ anmelden, das heißt, drei Tage Theorie an der Berufsschule und zwei Tage Praxis in der Kindertagesstätte. Das Modellprojekt haben wir an zwei Berufsschulstandorten durchgeführt – im Norden und im Süden des Landes. Ganz wesentlich hierbei ist, dass die Fachkräfte vor Ort durch Praxisanleitungen gestärkt wurden. Denn wenn man Personen in dem Bereich qualifizieren möchte, die dann auch relativ früh in die Praxis gehen, aber ohne berufliche Vorerfahrungen sind, bedarf es einer intensiven Praxisanleitung. Das haben wir dementsprechend vergütet und begleitet. Daraus ist jetzt ein Curriculum zur Praxisanleitung entstanden. Hier muss der Träger Qualitätsparameter einhalten, um Fachkräfte in der Praxis anzuleiten.

Aber wir sprechen hier nicht von einer Erzieher/innen-Ausbildung …

Nein, das ist keine Erzieher/innenausbildung, wir sprechen hier von der Stufe DQR4. Sie waren ja nicht an der Fachschule, sondern an der Berufsfachschule. Das ist ein Unterschied. Aber sie können vollwertig in der Kita arbeiten und im weiteren Verlauf von Praxiserfahrungen eigenständig Gruppen leiten.

Geht das nicht mit einer Qualitätsminderung der Erzieher/innenausbildung einher?

Zunächst ist es eine Absenkung der DQR Stufe, das ist schon richtig – es sind keine Erzieher/innen. Aber die Ausbildung zur „Staatlich geprüften Fachkraft für Kindertageseinrichtungen“ qualifiziert zur eigenverantwortlichen Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflegestellen des Landes Sachsen-Anhalt. Im Unterschied zu Erzieher/innen arbeiten sie nicht konzeptionell. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Leute, die diese Ausbildung machen, ein hohes Engagement haben. Ein Großteil derer, die sich für diese Ausbildung entscheiden, werden, das zeichnet sich ab, berufsbegleitend die Möglichkeiten nutzen, um die DQR Stufe 6, die Staatliche Anerkennung zur/zum Erzieher/in, zu machen.

Aus welchen Gründen haben Sie dieses Modell eingeführt?

Es war ein politischer Auftrag vom Landtag. Ein Fachkräftemangel aufgrund von Überalterung zeichnet sich ab. Circa 30% der Mitarbeiter/innen in den Einrichtungen sind über 50 Jahre alt. Wenn man Fachkräfte für dieses Feld gewinnen möchte, muss man sich überlegen, wie viel Zeit werden diese brauchen, bis sie als Fachkräfte in diesem Arbeitsfeld einsetzbar sind. Die Durchlaufzeit ist fünf Jahre mit allen erforderlichen Vorqualifikationen, also mit Vorpraktikum, Ausbildung zur Sozialassistenz usw. Das ist ein langer Weg. Deswegen ist die Politik dieses Experiment eingegangen. Das bedeutet auf der einen Seite eine Verkürzung der Anwartschaft, weil man sofort nach Schulabschluss in die Ausbildung einsteigen kann und die Ausbildung auch entsprechend vergütet bekommt. Gleichzeitig werden die Absolventinnen und Absolventen bei erfolgreichem Abschluss als Fachkraft anerkannt. Später können sich diese Fachkräfte, z.B. durch Nichtschülerprüfungen modular weiterentwickeln. Also das ist Fachkräfteentwicklung, die im Blick hat, die Versorgungssituation zu kompensieren.

Können Sie noch was zu dem Ziel sagen, das sie mit der Einführung dieses Modellprogramms im Visier hatten?

Es ging um praktikable und schnelle Lösungen, aber man muss auch deutlich aufzeigen, mit welchem Kraftaufwand diese verbunden sind. Die Frage der Formalqualifikation „Fachkraft in Kindertagesstätten“ und Abgrenzung zur Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher diskutieren wir immer wieder. Gleichzeitig kommt aber der Ruf aus den Kindertagesstätten, dass sie dringend Fachkräftenachwuchs brauchen, man möchte aber keinen Qualitätsverlust hinnehmen. Das war auch nicht die Intention des Modellprojektes, aber es muss natürlich unterschiedliche Wege geben, um ans Ziel zu kommen. Die Möglichkeiten, also in so einem demografisch gebeugten Land wie Sachsen-Anhalt, in dem es Regionen gibt, die hohe Veränderungen in der demografischen Entwicklung nachweisbar haben, ist zu prüfen, wie die Infrastruktur und Versorgung aufrechterhalten werden können. Man muss unterschiedliche Wege einschlagen. Dieser Weg war eine Möglichkeit, auch einen Zugang zum Beruf Erzieher/in zu schaffen bei gleichzeitiger ökonomischer Absicherung der Auszubildenden. Das Modell sollte auch Anreiz für die Träger sein und deutlich machen: Wenn Konzepte zur Personalentwicklung aufgebaut werden, müssen gleichzeitig Qualitätsparameter im Rahmen von Praxisanleitungen und Unterstützung im Praxisfeld gegeben sein. So können die Entwicklungen in kleinen Schritten geleistet werden. Das Modell ist jetzt im letzten Ausbildungszyklus, jetzt müssen wir schauen, was bringen die Evaluierungsergebnisse, und wir denken über ein Anschlussprogramm nach.

Was stellen Sie sich da vor?

Also wir möchten schon ganz gerne, dass der Zugang weiterhin erhalten bleibt und wir möchten ganz gerne die quasi „duale Ausbildung“. Wir sehen das als Perspektive für eine Vielzahl von Weiterentwicklungen. Also wir haben noch den Quereinstieg über das ESF-Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ in Sachsen-Anhalt, auch das gucken wir uns sehr genau an. Auch in dem Landesmodellprojekt zur Fachkraft für Kindertageseinrichtungen hatten wir Teilnehmer/innen, die schon eine andere Berufsausbildung hatten.

Was ist denn der Vorteil von berufsbegleitenden Ausbildungsgängen?

Sehr deutlich ist die Verzahnung von Theorie und Praxis zu nennen. Das wird sehr gut angenommen, erfordert aber auch eine gute Praxisanleitung, damit Theorie- und Praxistransfer auf hohem Reflexionsniveau erfolgen können. Das A&O ist eine gute Praxisanleitung, aber auch eine gute Begleitung durch die Schule – in enger Zusammenarbeit mit der Praxis. Es muss ein Gesamtgefüge entstehen, auf unterschiedlichen Stufen muss man die fachtheoretische Schulausbildung auf der einen und die Curricula auf der anderen Seite modifizieren, aber auch die Personen im Theorie- und Praxistransfer begleiten und binden. Die Identifikation der Auszubildenden mit dem Berufsbild geschieht im Wesentlichen an der Schnittstelle der Praxisanleitungen und deren Rahmenbedingungen. Es erfordert eine Qualifizierung der Praxisanleitung im Rahmen der Versorgung von Theorie und Praxis an den entsprechenden Stellen. Also wie arbeitet auch die Schule mit den Praxisanleiter/innen zusammen? Und die Zeiten, die die Beteiligten für die Praxisanleitung zur Verfügung gestellt bekommen. Im Modellprojekt haben wir zwei Stunden pro Woche Praxisanleitung für jede Schülerin und jeden Schüler implementiert. Diese müssen tatsächlich auch von den Dienstvorgesetzten entsprechend ermöglicht werden. Es macht also keinen Sinn, das nur als finanzielle Größe abzurufen, sondern es muss tatsächlich auch die Rahmung da sein, die zur Verfügung stehende Zeit fachinhaltlich bewältigen zu können.

Wie sorgen Sie im Ministerium denn für die Umsetzung?

Wir haben festgestellt, dass die Praxisanleitung sehr unterschiedlich stattfindet. Hierzu wurde ein Curriculum entwickelt. Dieses Curriculum ist bindend für die Träger, die in diesen Bereichen zukünftig aktiv sind. Sie müssen Nachweise führen über die Praxisanleitung – also was macht man im ersten Ausbildungsjahr, was macht man im zweiten Ausbildungsjahr, was macht man im dritten Ausbildungsjahr, welches Qualifikationsniveau habe ich erreicht, an welche Aufgaben wird die Person herangeführt etc. Und wie will ich das didaktisch unterlegen? Das wird dann eine Art Qualitätshandbuch. Aber eines kann ich sagen: Ohne qualifizierte Praxisanleitung wird es zukünftig keinen Praktikant/innen mehr in den Einrichtungen geben.

Was könnten Sie noch leisten, um die Ausbildung qualitativ zu verbessern?

Wir müssen die Träger ermuntern, nicht nur zu sagen, gebt uns mehr Personal, sondern tatsächlich auch zu gucken, wie kann der- oder diejenige, der oder die sich als Praktikant/in bei uns bewirbt, langfristig auch gebunden werden, z.B. durch vergütete Praktika. Es gibt mittlerweile auch Träger, die aktiv Elternabende oder Informationselternabende an den allgemeinbildenden Schulen durchführen, um auf sich als zukünftige Arbeitgeber aufmerksam zu machen.

Zudem wollen wir uns die Anwartschaften näher anschauen, die erforderlich sind, um die Ausbildung zu machen. Das wird beim Quereinstieg sehr deutlich, da geben Leute ihren Beruf auf, um Erzieher/in werden zu wollen, müssen dann die 600 Stunden absolvieren, das ist zum Teil schon hoch kritisch für die Personen. Und wenn sie die 600 Stunden anerkannt bekommen haben, wissen sie immer noch nicht, ob sie einen Ausbildungsplatz bekommen.

Das sind große Hinderungsfaktoren und diese Hinderungsfaktoren, die wollen wir aufweichen. Die Menschen müssen Sicherheiten und Perspektiven erhalten und diejenigen, die mit den Menschen zusammenarbeiten, brauchen Rahmungen, und an diesen Rahmungen, an diesen Schnittstellen, wollen wir arbeiten.

Das heißt also, vielfältige Wege gehen, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen, gleichzeitig aber auch die soziale Absicherung im Auge behalten. Zudem überlegen wir uns, generell auch für Schulen in freier Trägerschaft das Schulgeld für die Studierenden mit zu übernehmen.

Also große Pläne und viele Wege, die zum Ziel führen sollen …

Es wird auch nicht anders möglich sein. Wir brauchen breite Zugangswege. Kurz gesagt: So viele Menschen wie es gibt, so viele Zugänge in das Arbeitsfeld müssen wir ermöglichen.

Vielen Dank für das Interview.