03.11.2019

Lernort Praxis muss aufgewertet werden!

Astrid Reuker, Leiterin der Kita Haus Kunterbunt in Uetze und Fachberatung für die praktische Ausbildung angehender pädagogischer Fachkräfte, fordert mehr zeitliche Ressourcen und mehr Weiterbildung für Mentor*innen.

An welches Erlebnis mit der Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg / Männer in Kitas“ denken Sie gerne zurück?

Die Arbeit mit der Koordinationsstelle war immer produktiv und interessant. Wichtig für uns waren die vielen Tipps für die Praxis, die uns sehr geholfen haben. In guter Erinnerung behalte ich die vielen guten Gespräche. Gerne habe ich Ausflüge zur Koordinationsstelle nach Berlin gemacht.

Ein besonderes Erlebnis hatte ich am Ende des Projektes „Lernort Praxis“. Zusammen mit der Koordinationsstelle sollten meine Kollegin Christiane Gebhard aus Berlin und ich aus Niedersachsen im Programmbeirat über das Projekt berichten. Als wir uns zur Vorbereitung trafen, haben wir heftig diskutiert und konnten zu Beginn auf keinen gemeinsamen Nenner kommen. Bis wir endlich, dank der Mitarbeit der Koordinationsstelle, merkten, dass die Ausbildungen in Berlin und Niedersachsen total unterschiedlich sind. Der dann folgende Austausch war sehr interessant und hat noch einmal sehr verdeutlicht, dass wir alle den gleichen Beruf haben, aber völlig unterschiedlich ausgebildet sind.

Wir haben in den letzten Jahren im Rahmen des Themenfelds „Lernort Praxis“ in Kontakt gestanden. Wie hat sich das Themenfeld in den letzten Jahren entwickelt?

Das Projekt „Lernort Praxis“ startete im Jahr 2013. Die Anleitung der Auszubildenden wurde von den Mentor*innen gut gemacht. Allerdings fehlten einheitliche Konzepte und viele Grundlagen, welche Lerninhalte den Auszubildenden vermittelt werden sollten. Mit der Fortbildung zum Thema „Anleitung“ (fast) aller Mentor*innen in unserer Gemeinde und der Erstellung eines einheitlichen Konzepts hat sich die praktische Ausbildung sehr verbessert.

Neben den inhaltlichen Fragen war uns die Gewinnung von männlichem Fachpersonal sehr wichtig. Zu Beginn des Projektes arbeiteten in unseren Einrichtungen zwei Männer von ca. 150 pädagogischen Fachkräften. Daher wählten wir den Schwerpunkt „Männer in Kitas“. In diesem Zusammenhang hatten wir schnell Kontakt mit der Koordinationsstelle.

Die Arbeit war aus unserer Sicht erfolgreich. Derzeit arbeiten 17 männliche Fachkräfte bei uns in den Einrichtungen. Es besteht aber weiterhin Handlungsbedarf, da noch nicht in allen Kitas Männer arbeiten.

Die Zusammenarbeit mit der Koordinationsstelle war sehr gut und hat zum Erfolg beigetragen. Gerne erinnere ich mich an eine Fachtagung 2014 in Berlin. Zusammen mit drei männlichen Kollegen haben wir verschiedene Workshops besucht und alles abends stundenlang besprochen. Für uns war das der richtige Start in die gemeinsame Arbeit. Wir haben die Arbeit voranbringen können, und die Kolleg*innen hatten viele Ideen, was sie tun konnten.

Die persönlichen Besuche von Mitarbeiter*innen der Koordinationsstelle vor Ort haben uns geholfen, weitere Ideen zu entwickeln. Das war sehr hilfreich. Der Kita-Alltag ist sehr herausfordernd und zeitaufwändig. Daher haben wir unsere Ziele nicht so konsequent verfolgen können, wie wir wollten. Daher war es gut, dass die Koordinationsstelle uns immer wieder daran erinnert hat.

Das Themenfeld „Lernort Praxis“ hat, vor allem bedingt durch die prekäre Stellensituation, sehr an Bedeutung zugenommen. In Niedersachsen gibt es z.B. vom Land finanzierte Qualifikationsmaßnahmen für die Anleitung von Auszubildenden. Ziel ist es, die praktische Ausbildung flächendeckend im Land zu verbessern. Damit werden sehr viel mehr Kitas erreicht, als das im Projekt „Lernort Praxis“ möglich war.

Die Fachschulen haben zusätzliche Klassen eingerichtet, soweit es die räumlichen Voraussetzungen zuließen. Vor allem wurden für Quereinsteiger*innen, sowohl in der Ausbildung von Sozialpädagogischen Assistent*innen als auch von Erzieher*innen, unterschiedliche Formen der berufsbegleitenden Ausbildung eingerichtet. Das führt auch zu Veränderungen in der praktischen Ausbildung. Die Mentor*innen begleiten vermehrt Auszubildende, die erwachsen und teilweise deutlich älter sind als sie selbst. Das kann sehr bereichernd sein, beinhaltet aber auch Konfliktpotenzial. Zumindest verändert es die Ausbildung, und die Mentor*innen müssen sich in der Anleitung den neuen Voraussetzungen stellen.

Was braucht es künftig für das Themenfeld „Lernort Praxis“?

Der akute Fachkräftemangel, der in den kommenden Jahren noch zunehmen wird, beeinflusst alles in Hinblick auf die Gewinnung neuer Fachkräfte. Die Fachschulen werden immer größer, die Zahl der Auszubildenden steigt stetig. Das ist gut so.

Für den „Lernort Praxis“ ist das eine große Herausforderung. In fast allen Kitas ist der Fachkräftemangel zu spüren. Gleichzeitig müssen mehr Auszubildende betreut werden. Für die Gewinnung von geeigneten Fachkräften stellen diese eine wichtige Ressource dar. Daher müssen sie auch gut ausgebildet werden.

Die Mentor*innen stehen daher vor einer großen Herausforderung: Einerseits haben sie wenig Zeit, andererseits brauchen sie viel Zeit für eine gute Ausbildung. Daher muss noch mehr in die Weiterbildung von Mentor*innen investiert werden. Die Qualifizierungsmaßnahmen vom Land sind ein wichtiger erster Schritt hierbei. Zusätzlich brauchen die Kolleg*innen eine Anerkennung und zumindest zeitliche Ressourcen für ihre gute Arbeit.

Der Themenbereich „Männer in Kitas“ ist, meiner Meinung nach, dem Fachkräftemangel zum Opfer gefallen. Wir brauchen für eine gute pädagogische Arbeit heterogene Teams! Aber wir sind schon froh, wenn wir alle Stellen besetzen können.

Die vielfältigen Erfahrungen, die ich im Laufe der letzten Jahre gesammelt habe und als Fachberatung unserer Gemeinde zum Thema „Lernort Praxis“ weiterhin sammle, lassen mich verschiedene Dinge wünschen:

  1. Eine veränderte – möglichst duale – Ausbildung von pädagogischen Fachkräften und das bundesweit einheitlich.
  2. Eine personelle, zeitliche und finanzielle Stärkung der Mentor*innen im „Lernort Praxis“.
  3. Einen höheren Stellenwert vom „Lernort Praxis“ als Ausbildungsort, einhergehend mit größeren Kompetenzen innerhalb der schulischen Ausbildung.
  4. Eine „Imagekampagne“ für den Erzieher*innenberuf. Vor allem, um Männern den Zugang zu erleichtern.

Diese Wünsche sind alle nicht neu. Daher sind die Fragen, wer sie umsetzen kann und wann dies geschieht, von großer Bedeutung. Daher braucht es meiner Meinung nach ein hochkarätiges Gremium aus Politik, Trägern, Fachschulen und (das wird oft vergessen) Fachkräften aus den Kitas. Dieses Gremium muss die Ausbildung generell neu bedenken und die Möglichkeit bekommen, diese grundlegend zu verändern. Die Chancen dafür sind momentan sehr gut, da sich alle Akteure einig sind, dass etwas getan werden muss.