03.11.2019

Zehn Jahre Männer in Kitas – und nun?

Prof. Dr. Tim Rohrmann: HAWK Hildesheim, Mitarbeiter der Koordinationsstelle (2010-2013): Zehn Jahre Männer in Kitas. Ist es Zeit, sich anderen Themen zuzuwenden? Die OECD meint Nein.

Foto: Luule Artmann. www.foto-artmann.com

„Das Ziel einer Balance der Geschlechter erfordert langfristige Strategien über mindestens 10 Jahre hinweg“, schrieb Peter Moss 2003. Vor zehn Jahren wurde die Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ vom BMFSFJ ins Leben gerufen. Die sind jetzt um.

Ist es jetzt also Zeit, sich anderen Themen zuzuwenden?

Die OECD meint Nein. In der aktuellen Veröffentlichung „Gute Strategien für gute Berufe in der frühen Bildung“ wird als eine von acht Maßnahmen empfohlen, „Männer verstärkt zur Aufnahme einer Tätigkeit in der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (zu) ermutigen“ (OECD 2019, S. 20). Verwiesen wird darin auf dreißig Jahre „nachhaltige Anstrengungen“ in Norwegen (wenngleich auch auch dort männliche Beschäftigte in Kitas nach wie vor unterrepräsentiert sind).

In der Einleitung kündigt Ministerin Giffey das neue Bundesprogramm „„Fachkräfteoffensive Erzieherinnen und Erzieher: Nachwuchs gewinnen und Profis binden“ an. Da wirkt es schon seltsam, dass gleichzeitig der letzte Rest der Finanzierung für das Bundesprogramm „Männer in Kitas“ eingestellt wird. Dabei war dieses Programm nach Einschätzung vieler Beteiligten ein sehr erfolgreiches Programm. Und auch, wenn es an Evaluation gemangelt hat und es unmöglich ist, bei einer Vielzahl vielfältiger Maßnahmen klare Ursache-Wirkung-Beziehungen nachzuweisen: mit einem Anstieg des Männeranteils auf über sechs Prozent nimmt Deutschland im internationalen Vergleich heute einen der oberen Plätze ein, und Expert_innen aus vielen Ländern schauen nach Deutschland, wenn sie nach erfolgreichen Strategien für ein ausgewogeneres Verhältnis der Geschlechter suchen.

Ist damit genug getan?

Das norwegische Beispiel zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Denn seit dort in den letzten Jahren die staatliche Förderung von Maßnahmen für ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis eingestellt wurde, steigt auch der Männeranteil kaum noch, viele regionale Initiativen haben ihre Tätigkeit eingestellt seit die Förderung ausgeblieben ist, und nach wie vor brechen Männer deutlich häufiger als Frauen die Ausbildung ab.

Und auch, wenn es in vielen Großstädten inzwischen zunehmend normal ist, dass in Kita-Teams Frauen und Männer anzutreffen sind – gerade in ländlichen Räumen sind Männer in Kitas nach wie vor oft „Solotänzer im Damenballett“, wie es eine der ersten Initiativen für mehr Männer in Kitas vor inzwischen bald 30 Jahren formulierte.

Zudem beginnen manche Herausforderungen erst, wenn mehr Männer ins Team kommen. „Mann sein allein ist ja kein Qualitätsmerkmal“, haben wir in der Koordinationsstelle von Anfang an vertreten. Gemeinsame Erziehung durch Frauen und Männer ist eine Herausforderung, die auch zu mehr stereotypen Zuordnungen oder heftigen Geschlechterkonflikten führen kann, wenn sie nicht durch kontinuierliche Reflexion begleitet wird. Unterstützungsmaßnahmen wie Supervision von geschlechtergemischten Teams oder Arbeitskreise für männliche Fachkräfte sind jedoch nach wie vor die Ausnahme und werden nur in wenigen Regionen Deutschlands kontinuierlich gefördert und institutionell abgesichert.

Die Koordinationsstelle hat im letzten Jahrzehnt viel dafür getan, dass Männer in Kitas heute selbstverständlicher sind und dabei auch und vor allem die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Männern sichtbar wird. Klischeehaften Vorstellungen wie die, dass Männer Jungen vor der Übermacht von Frauen in Kitas retten müssten oder ihnen zeigen müssten, was „wahre Männlichkeit“ ist, hat sie immer eine klare Absage erteilt – auch solche Konzeptionen gibt es ja im internationalen Diskurs über Männer in der Pädagogik. Stattdessen hat sie immer dafür plädiert, dass Maßnahmen für mehr Männer in geschlechtergerechte und geschlechterbewusste Perspektiven eingebettet sein müssen, sowohl in der Personalentwicklung als auch in der pädagogischen Praxis. Genau das hat aus meiner Sicht wesentlich zum Erfolg beigetragen.

Was kommt nun?

Vom bereits in den neunziger Jahren formulierten Ziel, dass mindestens 20% der Beschäftigten in der Kindertagesbetreuung männlich sein sollten, sind wir nach wie vor weit entfernt. Die Verantwortung dafür wird nun wieder an die abgegeben, die sich zum Teil seit langem vor Ort um mehr Männer und ein besseres Miteinander der Geschlechter in Kitas bemühen. Dies umzusetzen ist nach wie vor eine große Herausforderung, und es ist bedauerlich, dass die Unterstützung solcher Maßnahmen weder im „Gute Kita-Gesetz“ noch in den vielfältigen Programmen zur Fachkräftegewinnung festgeschrieben worden ist.

Ich persönlich bin dankbar, dass ich mit dem Koordinationsstellen-Team drei Jahre lang spannende Modellprojekte begleiten konnte, dass die Koordinationsstelle in der Folgezeit immer alsAnsprechpartnerin zur Verfügung stand, und nicht zuletzt die bundesweite Vernetzung von regionalen Arbeitskreisen für Männer kontinuierlich unterstützt hat. Diese Vernetzung werden wir fortführen und damit den Geist der Koordinationsstelle noch ein wenig weiter in die Zukunft tragen.

OECD (2019). Gute Strategien für gute Berufe in der frühen Bildung. Acht Maßnahmen aus OECD-Ländern. Mit einem Vorwort von Bundesministerin Franziska Giffey. Paris: OECD publishing. Zugriff am 05.10.2019. Verfügbar unter oe.cd/pub/ecec2019