24.01.2017

„Wir müssen die Teilnehmenden mit ihren Nöten und Kompetenzen da abholen, wo sie sind.“

Christian Hoenisch resümiert seine Erfahrungen, die er beim Barcamp gemacht hat – und zieht Konsequenzen.

Foto: Milena Schlösser. Copyright: Koordinationsstelle 'Chance Quereinstieg/Männer in Kitas'.

Im November letzten Jahres fand das erste Barcamp, ein Austausch- und Vernetzungstreffen der Quereinsteiger/innen im Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“, statt. In jeweils 45-minütigen Sessions diskutierten die Teilnehmer/innen über Fragen und Probleme in ihrer Ausbildung.

www.chance-quereinstieg.de/service/aktuelles/detailansicht/article/quereinstieg-in-den-erzieherinnenberuf-erleichtern/ | Zentrale Fragen und Ergebnisse des Treffens

Zu Gast war auch Christian Hoenisch vom Referat 415 für Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Christian Hoenisch berichtet über den Besuch seines ersten Barcamps.

War es für Sie das erste Barcamp?

Ja. Offen gesagt, konnte ich mir zunächst gar nichts darunter vorstellen. Der Begriff Camp ist ja doch ein wenig zweideutig, aber da wir ja schon seit einigen Jahren mit der Koordinationsstelle zusammenarbeiten, hatte ich positive Erwartungen, denn es ist eigentlich immer gut, wenn sie mit einem neuen Format auftauchen. Deswegen war ich offen und positiv gestimmt.

Mit welchen Erwartungen sind Sie hingegangen?

Mein Hauptbegehren war, möglichst viel von den Teilnehmenden zu erfahren. Wir vom Ministerium in Berlin bzw. Bonn sind natürlich von dem Ausbildungsalltag relativ weit weg. Meistens erfahren wir die Dinge vermittelt über unterschiedliche Stellen, zum Beispiel die Koordinationsstelle. Das Barcamp war ein Anlass, Eins zu Eins zu erfahren, wie sich die Ausbildung für die Teilnehmenden gestaltet.

Sie waren ja ein sehr gefragter Gast und bei vielen Sessions dabei. Welche Themen waren da neu für Sie?

Zunächst einmal war ich positiv überrascht, dass ich überhaupt als Gesprächspartner gewünscht war, und dass sich die Teilnehmenden durch die Anwesenheit eines Mitarbeiters des Ministeriums keineswegs in ihren Äußerungen und ihrer Diskussionsfreudigkeit beschränkt sahen. Viele der Themen, die angesprochen wurden, waren nicht neu für mich. Eines jedoch, worüber wir bisher noch nicht nachgedacht haben, war das Thema Urlaub.

Können sie das näher erläutern?

Es geht um Folgendes: Die Teilnehmenden berichteten, dass sie unterschiedlich viel Urlaub hätten. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Der eine ist tariflich bedingt. Die einzelnen Projekte arbeiten oft mit Kitas unterschiedlicher Träger zusammen. Die Verträge mit den Quereinsteigenden werden immer mit den Kita-Trägern gemacht. Und da es unterschiedliche Träger gibt, gibt es auch unterschiedliche Tarifverträge. Das ist ein Punkt, der tatsächlich zu unterschiedlichen Urlaubsansprüchen führen kann, denn nicht alle Tarifverträge sehen die gleiche Menge an Urlaub vor.

Ein zweiter Punkt ist die Form der Urlaubsberechnung. Hat ein Teilnehmer zum Beispiel eine Sechs-Tage-Woche, dann bekommt er für drei Wochen 18 Tage Urlaub, für jede Woche muss er sechs Tage einbringen. Hat jedoch eine Teilnehmerin eine Fünf-Tage-Woche, dann stehen ihr 15 Tage Urlaub zu, sie braucht nur fünf Tage für eine Woche einzubringen, hat in der Summe aber auch drei Wochen Urlaub. Aufgrund dieser Struktur sind die Bedingungen der Teilnehmenden innerhalb eines Projektes nicht immer identisch. Das ist natürlich auch schwierig zu verdauen. Auf der anderen Seite können die Kitas und Träger die Auszubildenden, die an diesem Programm teilnehmen, nicht plötzlich aus ihren eigenen Regelungen herausnehmen, dann würden nämlich die anderen Beschäftigten möglicherweise „rebellieren“.

Denken Sie, dass die Teilnehmenden darüber besser informiert werden müssten?

Es ist immer gut, wenn vielleicht das Projekt, gerade wenn unterschiedliche Träger beteiligt sind, darauf hinweist, dass aufgrund dieser Tatsache möglicherweise die Bedingungen der Teilnehmenden nicht immer identisch sind. Hier wäre die Schule der Ort, das Thema anzusprechen.

Wie haben Sie Ihr erstes Barcamp empfunden?

Das eine ist das Barcamp als Format. Ich habe es in diesem Zusammenhang als sehr gutes Format erlebt, ich glaube, dass es sich durchaus auch für ähnliche und für Veranstaltungen in anderen Zusammenhängen gut verwenden lässt. Es ist ein sehr schlankes Format, das hat mir gut gefallen. Der Moderator war ganz weit im Hintergrund und hat sehr wenig Zeit gebraucht, das Vorgehen zu erläutern. Darüber hinaus ist es sehr an den Teilnehmenden orientiert, es bedarf allerdings engagierter Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es ist wirklich ein gutes Mittel für den Austausch. Die Atmosphäre in Berlin war sehr offen, die Teilnehmenden waren diskussionsfreudig, tauschten Sachinformationen und Meinungen aus und sind sich mit großer Wertschätzung begegnet.

Was konnte Sie für sich mitnehmen?

Ich habe mitgenommen, dass der Austausch über das Projekt hinaus für die Teilnehmenden sehr wichtig ist. Wenn man bedenkt, dass dies eine zusätzliche Veranstaltung gewesen ist, die also weder im Rahmen der Kita-Tätigkeit noch im Rahmen des Schulunterrichtes stattfand und sich die Leute ein Wochenende „um die Ohren geschlagen haben“ und teilweise quer durch die Republik gereist sind, um daran teilzunehmen, so zeigt das, wie groß der Bedarf ist, sich mit anderen Menschen in einer vergleichbaren Situation auszutauschen.

Ich glaube, dass es vielen Teilnehmenden geholfen hat, ihre Situation zu relativieren, so nach dem Motto, das läuft bei uns ja doch ganz gut, in einem anderen Punkt haben es jedoch andere ein wenig besser. Sie konnten viele Anregungen von den Erfahrungen aus anderen Projekten mitnehmen. Dadurch, dass ich einen genaueren Blick auf die Probleme, Sorgen und Nöte der Teilnehmenden werfen konnte und die große Unterschiedlichkeit in den Projekten, aber auch unter den Teilnehmenden wahrgenommen habe, ist mir nochmal klarer geworden, wie unterschiedlich die individuellen Situationen sind, und dass es eine große Herausforderung ist, die Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden in irgendeiner Form zu berücksichtigen.

Wie werden Sie diese Erfahrungen in Ihre Arbeit einfließen lassen?

Durch den direkten Kontakt mit den Teilnehmenden ist uns nochmal klarer geworden – obwohl es uns vorher schon bewusst war –, wie notwendig es für die Ausbildung der Menschen ist, die bereits aus „reiferen Situationen“ kommen, dass wir sie mit ihren Nöten und Kompetenzen da abholen, wo sie sind. Ihre Kompetenzen anzuerkennen, die sie aus den unterschiedlichsten Bereichen mitbringen, bedeutet für sie eine große Wertschätzung unter den sicherlich nicht einfachen Bedingungen dieser Ausbildung. Es war sehr wichtig für uns, diesen direkten Einblick zu haben.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Wir werden sicherlich sehr wohlwollend prüfen, so etwas in der Form noch einmal machen zu wollen. Es ist auch nochmal ein interessanter Aspekt, Teilnehmende zusammenzubringen, die an unterschiedlichen Zeitpunkten in der Ausbildung sind. Das gibt dem Austausch möglicherweise nochmal eine andere Qualität. Wenn es ganz toll läuft, würden diejenigen, die als erste die Ausbildung gestartet haben, sehen, dass etwas, was sie selber als schwierig empfunden haben, sich im Laufe der Zeit verändert hat, sodass sich ihr Dasein als „Versuchskaninchen“ für die anderen gelohnt hat.