Wiesbaden und Limburg – MitInitiative und Adolf-Reichwein-Schule

„Wir haben erfreulich viele positive Rückmeldungen. Wir hören nach der Startphase, dass sich die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger im Vergleich zu Frauen und Männern in der Regelausbildung selbstbewusster in die Teamarbeit einbringen und belastbarer sind.“ Interview mit Christoph Leng.

„Wichtig ist uns, dass die Leute bereits zu Anfang einen möglichst realistischen Blick auf den Quereinstieg bekommen und sehen, was das für sie und ihren Alltag in den nächsten drei Jahren bedeutet“ Christoph Leng, Gesamtkoordination Landeshauptstadt Wiesbaden, Sozialdezernat, Amt für Soziale Arbeit | Foto: privat.

Christoph Leng ist Gesamtkoordinator im Wiesbadener Modellprojekt „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ in der Trägerschaft der Landeshauptstadt Wiesbaden, Amt für Soziale Arbeit und der MitInitiative e.V., dem Dachverband freier und selbst organisierter Kindertageseinrichtungen in Wiesbaden.

Das erste Ausbildungsjahr neigt sich dem Ende zu. Wie sind die Teilnehmer/innen in der Ausbildung angekommen? Wie geht es ihnen zurzeit?

Die Teilnehmenden unseres ersten Jahrgangs sind durchweg sehr motiviert an den Start gegangen und haben in der Fachschule ziemlich schnell zu einer guten Klassengemeinschaft zusammengefunden.

Rückkehr auf die ‚Schulbank‘ war nicht einfach

Für manche war aber die Rückkehr auf die ‚Schulbank‘ ein nicht einfacher Schritt. Die früheren Schulerfahrungen lagen zum Teil lange zurück, im Schulalltag hat sich manches verändert und erwachsenengerechter Unterricht bedeutet auch eine andere Rolle mit mehr Eigenverantwortung für die Studierenden. Und die Ausbildung ist inhaltlich sehr anspruchsvoll. Dazu kommt der Wechsel in die Praxis – die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sind je Woche einen Tag in der Kita. Schließlich kommt noch die Fahrzeit hinzu: Die Adolf-Reichwein-Schule in Limburg, mit der wir zusammenarbeiten, ist rund 40 Kilometer von Wiesbaden entfernt. Alles in allem ist das schon eine große Herausforderung. Die Fragen ‚wie komme ich mit der neuen Situation zurecht‘ und ‚wie bewältige ich den Lernstoff‘ hat die Teilnehmenden stark beschäftigt.

Gute Leistungen motivieren

Das hat auch Ende letzten Jahres, während der ersten Klausurserie, ziemlich auf die Stimmung gedrückt. Die überwiegend guten Resultate und die Verschnaufpause der Weihnachtsferien haben das Stimmungsbarometer insgesamt aber wieder deutlich ansteigen lassen.

Leider haben wir einige Teilnehmende verloren, die sich trotz der Unterstützungsangebote und zahlreicher Gespräche mit Lehrer/innen, Anleiter/innen und den Projektkoordinator/innen entschlossen haben, die Ausbildung aufzugeben. In einem Fall hat der Kita-Träger eine Kündigung ausgesprochen.

Selbstbewusst und belastbar in der Praxis

Die Übrigen sind inzwischen gut in der Schule angekommen und kommen auch mit der Praxis gut klar. Wir haben erfreulich viele positive Rückmeldungen. Wir hören nach der Startphase, dass die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger im Vergleich zu Männern und Freuen in der Regelausbildung

  • sich selbstbewusster in die Teamarbeit einbringen
  • im Arbeitsalltag belastbarer sind
  • "die Arbeit sehen", also weniger aufgefordert werden müssen
  • hilfsbereiter sind
  • einen besseren Überblick über die Gesamtgruppe haben

Mittlerweile sind die Vorbereitungen zum 2. Jahrgang fast abgeschlossen. Wie läuft das Bewerbungsverfahren?

In Wiesbaden versuchen wir, Projekte der Qualitätsentwicklung stets auf eine breite Basis zu stellen, das heißt, unterschiedliche Träger einzubeziehen. Deshalb haben wir in jedem Jahrgang eine doppelte Akquise – wir suchen Interessent/innen und neue Praxisplätze.

Realistischer Blick auf die Ausbildungszeit und Austausch mit dem ersten Jahrgang

Für die potenziellen Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger haben wir nach den Erfahrungen im ersten Jahrgang das Verfahren umgestellt. Wir haben bereits im Oktober mit der Werbung angefangen und auch die Beratung der Interessent/innen intensiviert. Hierbei prüft schon das Projektteam die formalen Voraussetzungen und informiert eingehend über den Verlauf der Ausbildung. Wichtig ist uns, dass die Leute einen möglichst realistischen Blick auf den Quereinstieg bekommen und sehen, was das für sie und ihren Alltag in den nächsten drei Jahren bedeutet. Wir haben in diesem Zusammenhang auch ein Gespräch mit Studierenden des ersten Jahrgangs organisiert.

Einrichtungen können Quereinsteiger/innen selbst auswählen

Die Personen, die wir für geeignet halten, fordern wir dann auf, sich bei den Projekt-Kitas zu bewerben. Mit deren Einstellungszusage erfolgt dann die Bewerbung an der Fachschule. Im ersten Jahrgang stand die Aufnahme an der Fachschule aus zeitlichen Gründen am Anfang.

Da wir im zweiten Jahrgang mehr als doppelt so viele Interessent/innen haben, können die Einrichtungen auswählen. Allerdings sahen sich einige Träger vor dem Hintergrund einer harten kommunalen Spardebatte und anstehenden Kommunalwahlen erst sehr spät in der Lage, verbindliche Zusagen für einen Platz im 2. Jahrgang zu machen. Dies hat bei einigen Interessent/innen zu Verunsicherung und zu Absagen geführt.

Die dreijährige Ausbildung an der Fachschule erfolgt parallel zur Anstellung in der Kita. In Wiesbaden sind die Teilnehmenden im ersten Jahr an vier Tagen pro Woche in der Fachschule und an einem Tag in der Kita. Sie haben nun, zum zweiten Durchlauf, die Rhythmisierung verändert. Wie wird sie im zweiten Durchlauf aussehen? Wie kam es zu dieser Veränderung und was erhoffen Sie sich davon?

Wir haben für den ersten Jahrgang mit der Adolf-Reichwein-Schule vier Unterrichtstage pro Woche verabredet, um den Quereinsteiger/innen möglichst rasch fachliche Grundlagen für die Arbeit in der Kita zu vermitteln. Sie kommen zwar als Persönlichkeiten mit Lebens- und Berufserfahrung in die Kita, aber sie sind doch pädagogisch betrachtet „Anfängerinnen und Anfänger“.

Es hat sich nun gezeigt, dass sich der eine Praxistag pro Woche nicht bewährt. Aus den Kitas kam der Wunsch, mehr Zeit am Stück zu Verfügung zu stellen, damit die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger schneller in den Einrichtungen ankommen und die Arbeit intensiver werden kann.

In der Ausbildung ankommen – zusammenhängende Praxiserfahrungen ermöglichen

Wir haben deshalb eine Blockstruktur entwickelt und auch die Einführungszeit neu konzipiert. Wir starten im Sommer mit vier Wochen Praxis, in der die Teilnehmenden ihren Träger und ihre Kita kennenlernen. Die Schule beginnt dann mit einer siebenwöchigen Einführung. Hier geht es um Lerntechniken, erwachsenengerechtes Lernen und einen Überblick über die Ausbildungsinhalte, weniger um Fachunterricht. Fachreferent/innen aus der Praxis unterstützen dies zu konkreten Themenstellungen.

Danach folgen wieder vier Wochen Kita und das geht im Wechsel so weiter durch das erste Jahr. Im Weiteren folgen dann drei Tage Schule und zwei Tage Kita, im zweiten Jahr bzw. zwei Tage Schule und drei Tage Kita im letzten Jahr.

Wir wollen damit sowohl den Einstieg für die Teilnehmenden erleichtern als auch zusammenhängende Praxiserfahrungen ermöglichen, die dann wieder im Unterricht reflektiert werden können.

Was haben Sie sich für das nächste Jahr vorgenommen?

Das erste Jahr war wesentlich geprägt vom Einstieg in das Projekt mit kurzer Vorlaufzeit und dem Aufbau der Strukturen. Nicht zuletzt haben die ganz erheblichen Belastungen durch den bürokratischen Aufwand, den das ESF-Programm mit sich bringt und den wir in diesem Umfang doch nicht erwartet haben, Kräfte gebunden. Gerade für ein Projekt mit jetzt mehr als zehn Kita-Trägern ist dieser Aufwand außerordentlich hoch.

Austausch mit der Fachöffentlichkeit

Jetzt wollen wir stärker in den Erfahrungsaustausch sowohl innerhalb unseres Projektes wie auch mit der Fachöffentlichkeit eintreten. Aktuell bereiten wir zusammen mit dem Amt für Soziale Arbeit der Landeshauptstadt Wiesbaden eine Trägerkonferenz zum Fachkräftebedarf in Wiesbaden vor. Hier werden wir unter anderem erste Erfahrungen aus dem Quereinstieg diskutieren. Im Oktober wollen wir einen Fachtag zu ‚Männer in Kitas‘ veranstalten, bei dem Zugangs- und Integrationsschwierigkeiten im Fokus stehen sollen. Mit der Hochschule RheinMain und ver.di arbeiten wir an einer Evaluation unseres Projektes.

Gemeinsames Kompetenzraster entwickeln

Die Zusammenarbeit mit unseren Projektpartnern wollen wir ausbauen. Hier können wir an das erste Jahr anknüpfen, in dem wir z.B. mit Lehrkräften und Anleiter/innen angefangen haben, ein gemeinsames Kompetenzraster zu entwickeln.

Daneben liegt natürlich weiter ein Schwerpunkt auf der Begleitung der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger auf ihrem Weg zur staatlich anerkannten Erzieherin/zum staatlich anerkannten Erzieher.

Vielen Dank für das Interview!