„Transparenz, Partizipation und der Anschluss an die Lebenswelten der Studierenden sind zentrale Elemente von Erwachsenengerechtigkeit.“

Michael Bajerski über die Verankerung von Erwachsenengerechtigkeit und Gender im Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“.

Foto: privat.

Michael Bajerski ist Stellvertretender Leiter der Fachschule für Sozialpädagogik der Pädagogischen Akademie Elisabethenstift und Gesamt-Koordinator des Bundesmodellprogramms „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“. Die Schule arbeitet mit neun Trägern zusammen, die mit einer Anzahl von einer bis zehn Einrichtungen am Bundesmodellprogramm teilnehmen. Darunter befinden sich sowohl freie-private und konfessionelle Träger als auch kommunale Träger von Einrichtungen.

Ein weiterer Kooperationspartner, der flankierend zur Seite steht, ist das Zentrum Bildung der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau mit Sitz in Darmstadt, welches im Handlungsfeld „Bildung und Erziehung“ begleitet, fördert und vernetzt. Das Zentrum Bildung hat auch schon am Vorgänger-Modellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ teilgenommen.

Sie bilden gerade Ihren ersten Jahrgang im Modellprogramm aus. Welche Erfahrungen haben Sie bisher im Programmschwerpunkt Gender gemacht?

Der Schwerpunkt Gender ist in der Ausbildung grundsätzlich ein Querschnittsthema. Wir versuchen es in allen Aufgabenfeldern über Lernsituationen in den Fokus zu rücken, wobei wir auch die verschiedenen Handlungsfelder des Berufes im Auge haben.

Darüber hinaus ist uns wichtig, dass das Gender-Thema eingebettet ist in ein sexualpädagogisches Gesamtkonzept, was wiederum als zentraler Aspekt der kindlichen Entwicklung allgemein gesehen wird.

Von besonderer Bedeutung ist es, Gender als Teil der persönlichen wie auch der beruflichen Identität zu identifizieren, und zwar sowohl bei den Studierenden als auch bei den Lehrenden und natürlich auch im Kontext der Praxis in den Einrichtungen und ihrer Akteure. Die soziale Konstruktion von Geschlecht sowie stereotypisierende Verhaltens- und Denkweisen sind in diesen Kontexten kritisch zu hinterfragen.

Die Komplexität, mit der das Gender-Thema mit der Wirklichkeit verwoben ist, spiegelt sich recht gut in den Anforderungen eines Kompetenzerwerbs. Es sind Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen zu beachten, die in einem Aneignungsprozess, bei dem (selbst-) reflexive Anteile immer wieder zum Tragen kommen, thematisiert werden.

Betrachtet man den Schwerpunkt Gender als Mittelpunkt einer Konstellation von Begriffen, wird die Vernetzung und Dynamik dieses Schwerpunktes deutlich.

Die Fortbildung der Koordinationsstelle „Teamdynamiken in gemischtgeschlechtlichen Teams“, Reflexionstage zum Schwerpunkt Gender sowie der Vortrag eines Fachberaters vom Zentrum Bildung, sind, abgesehen von der alltäglichen Einflechtung des Themas, besondere Bausteine des ersten Halbjahres gewesen.

Welche Erfahrungen haben Sie im Programmschwerpunkt „Erwachsenengerechtigkeit“ gemacht?

Zentrale Elemente von Erwachsenengerechtigkeit sind für uns Transparenz, Partizipation  und der Anschluss an die Lebenswelten der Studierenden im Sinne einer Anknüpfung an die vorhandenen Kompetenzen.

Für die konkrete Situation der Ausbildung bedeutet Transparenz beispielsweise, dass die Studierenden gut versorgt sind mit den relevanten Informationen, die sie brauchen, um sich in der Ausbildung zurecht zu finden. Das gilt sowohl für den Gesamtablauf der Ausbildung, als auch für einzelne Unterrichte an sich. Die Vorhersehbarkeit, die dabei geschaffen wird, hilft auf beiden Ebenen Orientierung zu geben und Ängste zu nehmen. Das gilt auch für den Bereich der Leistungsnachweise, der von den Studierenden, die teilweise schon relativ lange aus der Schule draußen sind, als besonders herausfordernd erlebt wird.

Transparenz hat aber auch den Effekt, dass das Setting, in dem Lernen und Lehren stattfindet, nicht als „Ausübung geheimen Herrschaftswissens“ erfahren wird.

Partizipation innerhalb des von Praxis und Schule gesetzten Rahmens ist ein weiteres wesentliches Element. Das Erleben von Selbstwirksamkeit im schulischen Kontext kann helfen, Einstellungen über Lernen, die möglicherweise auch in der bisherigen Schulsozialisation begründet liegen, zu reflektieren. Mitverantwortung für den eigenen Bildungsprozess zu übernehmen, bedeutet, sich auch mit anderen Verantwortlichen des Kontextes auseinanderzusetzen. Eine ko-konstruktive Sichtweise kann so in der Ausbildungszeit geübt werden.

Alle beteiligten Akteure an diesem Prozess, Studierende und Lehrende bewegen sich somit auch im Rahmen einer doppelten Vermittlungspraxis, die laut neuem kompetenzorientierten Lehrplan verstärkt gefordert ist.

Das dritte Element ist der Anschluss an die Lebenswelten der Studierenden im Sinne einer Anknüpfung an die vorhandenen Kompetenzen, wobei sowohl die persönliche als auch die berufliche Biographie reflektiert wurde.

Wir haben zu Beginn der Ausbildung die Erfahrung gemacht, dass die Studierenden ihre Fachfremdheit teilweise negativ konnotierten. Mit der Bearbeitung dieses Themas wurde klar, dass niemand als unbeschriebenes Blatt in der Klasse sitzt und in der Praxis interagiert. Der ressourcenorientierte und wertschätzende Blick auf die eigene Biographie und Lebenswelt offenbarte so manchen AHA-Effekt, der die Studierenden zuversichtlich stimmte.

Das daraus erwachsene Zutrauen in sich selbst ermöglichte es den Studierenden auch in der Praxis, mehr in die Kommunikation mit den Fachkräften zu gehen und sich vermehrt einzubringen.

Sie sind gerade mitten in der Akquise eines neuen Jahrgangs. Das ist gleichzeitig auch der letzte Jahrgang, der über das Bundesmodellprogramm finanziert wird, da das Programm 2020 ausläuft. Wie könnte es danach weitergehen? Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Programmziele weiterzuführen?

In Hessen bieten einzelne Fachschulen für Sozialwesen – Fachrichtung Sozialpädagogik eine verkürzte Ausbildung für Menschen mit (sozial-)pädagogischen Vorkenntnissen oder beruflichen Vorerfahrungen oder auch eine berufsbegleitende Ausbildung in Teilzeitform an. Teilweise sind die Fachschulen auch für die Annahme von Bildungsgutscheinen zertifiziert. Dabei ist der mittlere Schulabschluss immer die Grundvoraussetzung.

Die Pädagogische Akademie Elisabethenstift betreibt seit mehreren Jahren sehr erfolgreich die berufsbegleitende Ausbildungsform. Dabei arbeiten wir auch mit Kooperationspartnern aus der Jugendhilfe zusammen. Die Vernetzung zwischen dem Lernort Schule und dem Lernort Praxis ist für uns von ganz zentraler Bedeutung, so hat das Kinderhaus der Pädagogischen Akademie auch am Bundesmodellprogramm „Lernort Praxis“ teilgenommen.

Dabei legen wir besonderen Wert auf die Kommunikation zwischen Schule und Praxis, was sich z.B. in Anleiter*innentreffen, Hospitationsbesuchen und Fallbesprechungen im Unterricht widerspiegelt.
Mit den speziellen Ressourcen des Modellprogramms „Quereinstieg“, wie z. B. den Koordinator*innen, lassen sich diese Themen sehr gut ausleuchten und bearbeiten. Wir erhoffen uns dadurch auch Weiterentwicklungen in unserer berufsbegleitenden Ausbildungsform.

Die Pädagogische Akademie nimmt auch an Vernetzungstreffen der hessischen Standorte des ESF-Modellprogramms „Quereinstieg“ teil, die auf Initiative des Wiesbadener Standortes durchgeführt werden. Ziel ist es, unter anderem auch mit übergeordneten Akteuren des Arbeitsfeldes, wie z.B. dem Hessischen Kultusministerium, ins Gespräch zu kommen, um Elemente des ESF-Modellprogramms zu verstetigen.