27.10.2016

„Die Praxis muss selbstsicherer werden in der Ausbildung und Anleitung“

Gehen wir gleich zu Anfang mit den Praktikanten/innen in den regelmäßigen Dialog, werden wir auch von ihnen profitieren. Interview mit Ivonne Horneber.

Foto: privat.

Ivonne Horneber arbeitet seit 2001 bei der Stiftung Kindergärten Finkenau als Erzieherin. Vor knapp drei Jahren begann sie als angehende Praxismentorin das Bundesprogramm „Lernort Praxis“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) für ihren Träger umzusetzen. Das Ende des Bundesprogramms bedeutete für sie eine neue Herausforderung. Der Träger hat eine volle Stelle geschaffen, damit die Projekte, die sie während des Bundesprogramms generierte, weiterlaufen können.

Ivonne Horneber ist Ansprechpartnerin für alle Koordinator/innen der Fach- und Hochschulen, für die Praxisanleiter/innen des Trägers und für alle angehenden Erzieher/innen. In der Stiftung Kindergärten Finkenau werden Sozialpädagogische Assistent/innen, Erzieher/innen, Heilerziehungspfleger/innen sowie die Studierenden aus den Studiengängen Kindheitspädagogik, Soziale Arbeit und Erziehungs- und Bildungswissenschaft angeleitet. Ivonne Horneber hat über viele Jahre Erfahrung in dieser Arbeit mit angehenden Erzieher/innen gesammelt, die während der schulischen Vollzeitausbildung ihr Praktikum in den Einrichtungen Stiftung Kindergärten Finkenau machten. Mit ihrer neuen Stelle als Praxismentorin wurde sie auch Praxisanleiterin für Quereinsteigende.

Können Sie kurz schildern, worum es beim Bundesmodell „Lernort Praxis“ ging? Und was hatte die Stiftung Kindergärten Finkenau damit zu tun?

Wir von der Stiftung Kindergärten Finkenau haben 2013 mit dem Bundesmodell begonnen. Damals war unser erstes Ziel den Schwerpunkt 1 – die Gewinnung und Qualifizierung von Fachkräften – umzusetzen. Wir wollten eine qualifizierte Praxisanleitung entwickeln und sie in einem Trägeranleitungskonzept verankern. Dem Träger war es sehr wichtig, das vorhandene Anleitungsverfahren weiterzuentwickeln. Es wurde gemeinsam über eine Fortbildung mit mehreren Modulen nachgedacht. Ziel war und ist es, den Anleitungsprozess zu vertiefen und dauerhaft zu implementieren. Mitarbeiter/innen des Vorstandes und ich haben mehrere Module zum Thema Anleiten konzipiert. Weitere Themen sind unter anderem der Ausbildungsprozess, die Gestaltung des Ausbildungsplans, der Abschluss von Verträgen für Praktikanten/innen, Formulierung von Zielvereinbarungen, Methoden zur Gesprächsführung, Rollen und Erwartungen an Auszubildende. Dazu kommen Inhalte, die sich um Empathie, Beobachtung und Wahrnehmung drehen. Die Beziehung und Kommunikation mit den Auszubildenden ist uns sehr wichtig.

Was genau sind Ihre Aufgaben?

Unsere Praktikanten/innen – jährlich ungefähr 60 – erhalten Workshops in unterschiedlichen Bildungsbereichen. Am Anfang des Semesters organisiere ich ein Kennenlerntreffen. Die Teilnehmer/innen stellen sich und ihre Einrichtungen vor und lernen mich als Ansprechpartnerin kennen. Zudem gehe ich in die Einrichtungen und unterstütze bei Bedarf die Praxisanleiter/innen vor Ort. Ich helfe wenn nötig, eine Struktur zu finden und individuelle Ausbildungspläne mit zu erstellen. Im Falle von Problemen kann ich lösungsorientiert moderieren. Für die Praxisanleiter/innen organisiere ich pro Halbjahr ein Austauschtreffen, bei dem sie über offene Fragen diskutieren können. Ich nehme an Teambesprechungen teil und versuche dort, das Bewusstsein der Kollegen/innen dafür zu schulen, sich als Ausbildungsort wahrzunehmen. Ziel ist es, den Teams noch mehr zu verdeutlichen, dass ihre Einrichtung Lernort und Ausbildungsstätte ist. Ich arbeite eng mit den Leitungen zusammen und kommuniziere auf kurzem Weg die Informationen und Zielsetzungen, die ich mit dem Vorstand gemeinsam erarbeitet habe. Wir stehen in engem Austausch miteinander. Eine weitere Aufgabe ist es, eine engere Kooperation mit den Fachschulen voranzutreiben. Bildungspläne sollten wir gemeinsam erarbeiten. Die Praxis muss selbstsicherer werden in der Ausbildung und Anleitung – und die Schulen sollten wissen, dass wir ernstzunehmende Partner sind.

Sie selbst begleiten ja auch seit vielen Jahren angehende Fachkräfte, wie z.B. Quereinsteiger/innen und Männer in der Ausbildung zum Erzieher. Was hat Sie bei der Anleitung dieser Zielgruppen am meisten überrascht?

Egal ob Frauen, Männer oder Menschen mit Migrationshintergrund – ich mache da keine Unterschiede. Mich hat ein bisschen überrascht, dass die Pädagogen/innen in den Einrichtungen und die Praxisanleiter/innen gerade bei den Quereinsteigenden davon ausgehen, dass sie berufsspezifische Erfahrungen mitbringen und entsprechende Kompetenzen entwickelt haben. Praxisanleiter/innen setzen bei den meist älteren Menschen ein bestimmtes Wissen voraus. Das ist aber häufig nicht so. Die Quereinsteigenden fangen wie jede/r andere auch völlig neu an. Sie kommen in ein ihnen fremdes pädagogisches Berufsfeld. Dies müssen die Praxisanleiter/innen wissen und ein gewisses Feingefühl entwickeln. Quereinsteigende sind etwa 15 bis 20 Stunden in der Praxis. Wenn sie von der Schule direkt in ihr neues Berufsfeld kommen, sind sie oft überfordert: Besonders wenn niemand da ist, der sie eng begleitet. Quereinsteigende müssen sich schneller im Berufsalltag zurechtfinden als Schülerpraktikanten/innen, die den normalen Ausbildungsweg gehen.

Worauf ist bei der Anleitung angehender männlicher Erzieher zu achten?

Männliche Erzieher und Praktikanten sind bei der sensiblen Geschlechterthematik erst einmal eher zurückhaltend. Sie beschäftigen sich häufig damit, wie sie mit Nähe und Distanz umgehen können. Darüber muss man offen reden. Männer und Frauen haben bei uns den gleichen Stellenwert; an sie werden die gleichen Erwartungen gerichtet. Das heißt, ein Mann darf genau wie eine Frau nach einer gewissen Vertrauenszeit ein Kind wickeln, trösten, mit ihm toben usw. Uns ist es wichtig, dass Männer und Frauen das gleiche Ansehen in ihrem Beruf genießen und das kommunizieren wir nach außen. Sexuelle Bildung ist ein Thema, in das unsere Eltern von Beginn an einbezogen werden. Einmal jährlich findet in jeder Kita ein Elternabend statt, der die Grundhaltung des Trägers deutlich macht. Fragen und Unsicherheiten werden geklärt. Die Erfahrung zeigt, dass dieses Herangehen sehr hilfreich für alle Beteiligten ist.

Was sollten Praxisanleiter/innen in Hinblick auf eine geschlechtersensible und erwachsenengerechte Ausbildung besonders beachten?

Die Praxisanleiter/innen sollten sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Ich finde es sehr wichtig, sich zum Beispiel mit Reflexionsfragen auseinanderzusetzen. Beispielsweise bei der Raumgestaltung: Ist der Raum eher als „weiblicher Raum“ aus- bzw. eingerichtet? Was brauchen Mädchen und Jungen, um sich entfalten zu können? Ist meine Körpersprache bei Mädchen und Jungen unterschiedlich? Wie ich auf diese Fragen gekommen bin? Unsere Werte wie etwa die Körpersprache sind erlebte, gesehene und gespürte Entwicklungsgeschichte. Das heißt nicht, dass Frauen Mädchen näher sind. Es geht häufig um die großen Unterschiede zwischen den Erzieher/innen: Welche Erfahrungen haben sie in ihrer eigenen Biografie mit ihrem Vater, mit ihren Brüdern oder auch mit ihren Söhnen gemacht? Das heißt, dass die Erzieher/innen zum Beispiel unbewusst ihre Körpersprache einsetzen und dies die Kinder in ihrer Wahrnehmung auf bestimmte Art und Weise beeinflussen kann.

Ich bin zudem der Meinung, dass auch die Raumgestaltung auf die Bedürfnisse von Jungen und Mädchen gleichermaßen abgestimmt werden muss. Natürlich fühlen sich Jungen auch in der Puppenecke angesprochen, aber Pädagogen/innen sollten darauf achten, dass sie beispielsweise die Jungen eher verschrecken, wenn es zu „rosa“ ist. Wichtig ist, die Spielräume genderneutral zu halten. So lernen die Mädchen und Jungen eine tolerante Beziehung aufzubauen. Zudem ist es wichtig in der Pädagogik, sich selbst immer besser kennenzulernen. Dann profitieren die Kinder von dieser möglichen Vielfalt. Und das sollten wir auch den Auszubildenden aufzeigen.

Die Vorteile für die Auszubildenden liegen bei einer Praxisanleitung ja auf der Hand. Profitiert auch die Einrichtung, wenn sie Praxisanleiter/innen ausbildet oder Mentor/innen stellt? Denn immerhin geht ja in den Gesprächen zwischen Mentee und Mentor/in auch wichtige Arbeitszeit verloren.

Am Anfang gibt man mehr Zeit in die Anleitung rein; die Praktikanten/innen müssen sich mit mehreren Sachen vertraut machen, wie etwa mit den Rahmenbedingungen und Strukturen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Bezugsanleiter/innen nicht nur alleine die Verantwortung tragen, sondern das gesamte Team die Ausbildung der Praktikanten/innen als bedeutsam sieht und sie unterstützt. Gehen wir gleich zu Anfang mit den Praktikanten/innen in den regelmäßigen Dialog, werden wir auch von unseren Praktikanten/innen profitieren.

Die Stiftung Kindergärten Finkenau hat ein Arbeitszeitmodell entwickelt, das den Pädogogen/innen sogenannte Off-Kids-Zeiten ermöglicht. So ist auch für die Anleiter/innen festgelegt, wie viel Zeit pro Jahr zur Verfügung steht für die Gespräche mit den Praktikannten/innen. Diese Termine werden in die Monatsplanung einberechnet – so ist der Arbeitsalltag besser planbar. Jede Einrichtung profitiert in dem Sinn, dass die Auszubildenden zunehmend mehr in die Praxis einbezogen werden können. Gerade wenn wir am Anfang viel Input geben, fühlen sie sich wertgeschätzt, gewinnen an Sicherheit und haben Lust zu arbeiten. Sie kommen gerne in die Einrichtungen. Und was wir auch erleben: Wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben, kommen sie gerne als gut ausgebildete Fachkräfte zu uns zurück.

Sie haben davon gesprochen, dass Sie im engen Dialog mit den Fachschulen stehen. Wie sieht eine gute Theorie-Praxis-Verzahnung zwischen Lernort Kita und Lernort Schule aus Ihrer Sicht aus? Und was haben Sie bislang schon erreicht?

Als erstes möchte ich mich sehr bei den Fachschulen und den jeweiligen Ansprechpartner/innen bedanken. Sie hatten während des Bundesprogramms keine zeitlichen Ressourcen zur Verfügung und haben sich dem Projekt „Lernort Praxis“ trotzdem geöffnet. Wir haben uns in regelmäßigen Abständen getroffen und wir haben Einblicke in den Bildungsplan und die Handlungsfelder der jeweiligen Fachschulen bekommen. Gemeinsam haben wir uns inhaltlich über das Anleitungskonzept ausgetauscht und Aktuelles/News aus den jeweiligen Fachschulen erhalten. Bei uns als Träger fließen diese Informationen durch alle Bereiche, dazu gehören Vorstand, Leitungen, Anleiter/innen und Mitarbeiter/innen, sodass alle auf dem neusten Stand sind. Ich bin für die meisten Fachschulen für Sozialpädagogik als feste Ansprechpartnerin eingetragen. Wir sind ständig im Dialog und unterstützen uns gegenseitig.

Was möchten Sie anderen Trägern an dieser Stelle empfehlen?

Da kann ich keine generelle Empfehlung aussprechen, sondern nur von uns berichten. Jeder Träger versucht ja, das Bestmögliche umzusetzen. Die Stiftung Kindergärten Finkenau, zwei weitere Träger und die Hamburger Fachschulen wollen gemeinsam eine Implementierungsveranstaltung durchführen. Andere Träger aus Hamburg werden eingeladen und wir können ihnen zeigen, was wir zusammen erreicht haben. Wir wollen ihnen vermitteln, warum es wichtig ist, dass Schulen und Einrichtungen sich auf Augenhöhe begegnen und im Dialog sind.