06.11.2014

Quereinstieg

Welche Ziele verfolgt das neue ESF-Bundesmodellprogramm "Quereinstieg - Männer und Frauen in Kitas"? Im Interview: Alexandra Schiltz, Referentin im Referat Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin/Bonn.

Foto: Alexandra Schiltz

Frau Schiltz, Sie haben das neue ESF-Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ im BMFSFJ fachlich und politisch mit entwickelt. Unter den Programmen des Bundes  wird das Modellprogramm  als soziale Innovation im Themenfeld Lebenslanges Lernen verortet. Insofern hätte es doch auch vom vom BMBF oder vom BMAS aufgegriffen werden können. Welche Interessen verfolgt das BMFSFJ mit diesem Programm?

Das neue ESF-Bundesprogramm sucht nach Antworten auf eine Problemstellung, auf die das BMFSFJ im Rahmen der vorangegangenen ESF-Förderperiode aufmerksam geworden ist. Das Bundesmodellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ hatte gezeigt, dass unerwartet viele Männer – vor allem mittleren Alters – gerne ihren Beruf wechseln und stattdessen etwas mit Menschen machen würden. Aufgrund der inzwischen gesammelten Lebenserfahrung können sie sich auch eine Arbeit mit kleinen Kindern vorstellen, über die sie aufgrund geschlechterstereotyper Beeinflussung im Jugendalter vielleicht nie nachgedacht haben. Manchen wurde – trotz vorhandener Fähigkeiten und Interessen – vielleicht sogar von sozialen Berufen abgeraten, weil ihr Umfeld in Berufen, die eher als frauentypisch gelten, für Männer Nachteile vermutet.

Den Berufswechsel zur Kita-Fachkraft zu meistern, stellte sich für die meisten Interessenten jedoch als ein Finanzierungsproblem dar. Die schulisch geregelte Ausbildung zum Erzieher wird nicht vergütet. Wer keinen Anspruch auf staatliche Förderinstrumente hat, kann sich eine i.d.R. dreijährige Neuqualifikation ohne paralleles Einkommen nicht leisten. Häufig sehen Männer hierin ein unüberwindbares Hindernis, welches aber ebenso Frauen abhält, die neue Qualifikation zu erlangen. Insofern verfolgt das BMFSFJ mit einem Modellprogramm, welches die Weiterentwicklung einer vergüteten, erwachsenengerechten und geschlechtersensiblen Teilzeitausbildung weiter voran treibt, mehrere gleichstellungspolitische Ziele:

Zunächst einmal lenkt das Programm Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass man es offenbar bislang für zumutbar hielt, sehr viele der sogenannten Frauenberufe während der Ausbildungszeit nicht zu vergüten. Um diese Benachteiligung auszugleichen, die bislang vor allem Frauen trifft, erhalten die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger im Modellprogramm – wie man es für das duale Ausbildungssystem kennt – eine Vergütung. 

Zudem sollte das soziale Berufsfeld strukturell so offen gestaltet sein, dass Männer – die es wünschen – zu einem späteren Zeitpunkt im Leben ihre geschlechterstereotyp getroffene Berufswahl korrigieren können.  Wenn erwachsene Männer motiviert zu sogenannten Frauenberufen wechseln, hat das Signalcharakter. Dadurch werden automatisch auch junge Männer ermutigt, ins soziale Berufsfeld zugehen. Dadurch wird sich langfristig die Segregation der Berufe nach Geschlecht aufweichen. 

Das klingt so, als würden Sie bei schulisch geregelten Ausbildungen im Vergleich zur dualen Ausbildung grundsätzlich eine gleichstellungspolitische Problematik vermuten?


Ein vom BMFSFJ in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zeigt, dass im Bereich der Aufstiegs- und Weiterbildungsförderung Aspekte mittelbarer Diskriminierung von Frauen vorliegen. Frauen wählen nach wie vor deutlich häufiger als Männer Berufe der Pflege, Gesundheit, medizinischen Diagnostik sowie Erziehung und damit Berufe aus dem schulischen Bildungssystem.

Für die meisten dieser Berufe muss davon ausgegangen werden, dass sich bestehende gesetzliche Regelungen hinderlich auswirken, wenn es darum geht, ein ausreichend großes Umschulungsangebot zur Verfügung zu stellen. Wie aufwendig es sich darstellt, die nötigen Voraussetzungen für Umschulungsmaßnahmen zu schaffen, hat sich gezeigt, als trotz erkennbarem Fachkräftemangel gut zwei Jahre vergingen, bevor bundesweit Umschulungsoptionen für den Erzieherberuf zur Verfügung standen.

Inzwischen hat sich der gleichstellungspolitische Blick bzgl. der unterschiedlichen Rahmenbedingungen des schulischen und dualen Berufsausbildungssystems auch insgesamt geschärft. Hier bestehen Forschungslücken und Handlungsbedarfe, um Benachteiligungsstrukturen zu verdeutlichen und perspektivisch abzubauen. Entscheidungen für sog. Frauenberufe dürfen nicht mit Nachteilen für die Berufswählerinnen und Berufswähler sowie deren Eltern verbunden sein. So liegt z.B. die Differenz zwischen der durchschnittlichen Ausbildungsvergütung von jungen Frauen und jungen Männern im vergüteten dualen Berufsausbildungssystem bei bundesdurchschnittlich ca. 5 Prozent. Über ein Viertel aller Ausbildungen finden allerdings im nicht vergüteten Schulberufssystem statt. Dies ist bei der Ermittlung des Einkommensunterschiedes, der sich bereits während der Ausbildungszeit zwischen Männern und Frauen auftut, noch gar nicht berücksichtigt. 

Was sollte die Träger und Bundesländer dazu motivieren, am Modellprogramm teilzunehmen?

Im Zentrum des Bundesmodellprogramms steht die Fragestellung, ob die vorhandenen Teilzeitausbildungsangebote in den Bundesländern im Hinblick auf Didaktik, Methodik, Zeitorganisation und die finanzielle Absicherung der Absolventinnen und Absolventen bereits ausreichend erwachsenengerecht gestaltet sind.
Welcher Anpassungen bedarf es, wenn man fachfremd ausgebildete Personen mittleren Alters erfolgreich zum neuen Berufsabschluss führen möchte? Wo liegen die Herausforderungen oder gar Probleme, die man lösen könnte, wenn man innerhalb einer klar umgrenzten Modellphase die nötigen Kapazitäten dafür zur Verfügung gestellt bekäme?

Die Rahmenbedingungen des Bundesprogramms lassen den Projektträgern für die Umsetzung ihrer Vorstellungen dabei viel Freiraum. Lediglich zur Dauer, zur Vergütung und zur Vollwertigkeit des Abschlusses macht der Bund Vorgaben. Das lässt Raum für strukturelle sowie organisatorische Änderungen aber gleichfalls auch für das Erproben von z.B. Selbstlernmethoden oder alternativen  Auswahlverfahren, die noch stärker Vorerfahrung und Motivation der Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigen.

Erwachsene können sich aufgrund ihrer Lebenserfahrung ganz anders und partizipativ in die Gestaltung ihrer Ausbildung einbringen. Solche Möglichkeiten benötigen sie m. E. auch, damit sie die drei Jahre dauernde Ausbildung motiviert und erfolgreich bestreiten können. Vieles, was man seitens der Fachschulen und Fachakademien für Sozialpädagogik bislang – aus guten Gründen – in bestimmter Weise macht, kann und muss auf den Prüfstand gestellt werden, wenn man sich gezielt einer neuen Personengruppe zuwendet.

Ich bin gespannt darauf, wo die möglichen Projektnehmer die spezifischen Herausforderungen sehen, denen sie sich im Modellprogramm zuwenden wollen. Wird für sie eine Individualisierung der Lernprozesse im Vordergrund stehen, die die Lernenden je nach Vorkenntnissen und Fähigkeiten in die Ausgestaltung der Ausbildung einbindet oder wird es die Optimierung der zeitlich organisatorischen Struktur der Ausbildung sein und damit die Verbesserung der fachliche Begleitung durch Anleiterinnen, Anleiter und Lehrkräfte?

Ganz wichtig ist uns in diesem Zusammenhang, mit der im Modellprogramm vorgeschlagenen Vergütungshöhe ein Zeichen zu setzen. Dafür, – und dies ist gleichstellungspolitisch relevant – dass grundsätzlich auch schulisch geregelte Ausbildungen, die einen hohen Praxisanteil haben, vergütet werden sollten. Genau wie in einer dualen Ausbildung, die ja stets vergütet wird, wächst die Fähigkeit zur selbständigen Mitarbeit auch in der Kitatätigkeit begleitenden Teilzeitausbildung mit der Dauer der theoretischen Ausbildung. Dem müssen  Art und Umfang der konkreten Mitarbeit bzw. des Absolvierens der praktischen Ausbildungsanteile im Curriculum  der Ausbildung gerecht werden. Unabhängig davon, wie viel an konkreter Mitarbeit diese Personengruppe, die sich im fortgeschrittenen Alter neu qualifiziert, bereits leisten kann, bedarf sie aber in jedem Fall einer durchgehenden, zumindest annähernd existenzsichernden Grundlage. Hierfür müssen Finanzierungsmodelle entwickelt werden. Dies wird nur gelingen, wenn auch die zuständigen amtlichen Stellen sich an der Lösung der Frage beteiligen, wie Optionen lebenslangen beruflichen Lernens geschaffen und finanziert werden können.

Insofern ist es uns wichtig, dass die Modellprojekte mit Kenntnis und Unterstützung der zuständigen Stellen der Länder durchgeführt werden. Wenn auf diese Weise Wissen über gut koordinierte, vergüteten Teilzeitausbildung mit hohem qualifizierendem Niveau zusammengetragen und bundesweit diskutiert wird, dann bietet dies eine gute Chance für viel Innovation zum Thema lebenslanges Lernen in Berufen mit schulischer Ausbildungsorganisation.

Vielen Dank für das Interview.