04.12.2017

„Es herrscht ein Wildwuchs bei den verschiedenen Ausbildungsmodellen“

Björn Köhler arbeitet für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Dort leitet er den Organisationsbereich Jungendhilfe und Sozialarbeit. Seiner Einschätzung nach fehlen in den nächsten Jahren bundesweit rund 100 000 Erzieher*innen.

Foto: privat.

Welche Rolle spielt in Ihrem Tätigkeitsfeld die berufsbegleitende/praxisintegrierte, vergütete Erzieher/innenausbildung?

Als GEW vertreten wir die Interessen unserer Mitglieder und kümmern uns zugleich berufsverbandlich um bildungspolitische Themen, die u.a. mit der Qualität im Bereich Kita zusammenhängen. Wir fordern als GEW ein Kitaqualitätsgesetz, das verbindliche, bundesweite Qualitätsstandards in den Kitas regeln soll, z.B. die Fachkraft-Kind-Relation. Dabei dürfen wir den jetzt schon bestehenden Fachkräftemangel nicht außer Acht lassen: Unserer Einschätzung nach fehlen in den nächsten Jahren bundesweit rund 100.000 Erzieher*innen. Verschärft wird dies noch mit der derzeitigen Debatte über die Betreuung von Grundschüler*innen.

Daher spielt die berufsbegleitende Ausbildung eine immer größere Rolle. Zum einen stellt sich die Frage, wie Menschen in der Ausbildungsphase vergütet werden (sollen), zum anderen die generelle Frage nach der Wertigkeit des Erzieher*innen-Berufs. Hier gilt es, Ansätze in vielen Ausbildungsmodellen, die Qualität der bisherigen Ausbildung aufzuweichen, entschlossen zu begegnen, sich gleichzeitig aber nicht einer zeitgemäßen Reform der Ausbildung zu verschließen.

Welche guten Ansätze aber auch Schwierigkeiten sehen Sie bei der aktuellen berufsbegleitenden/praxisintegrierten, vergüteten Erzieher/innenausbildung in den einzelnen Bundesländern?

In vielen Bundesländern werden Abstriche bei der Qualität bewusst hingenommen und neue „Berufe“ (z.B. die „Fachkraft für Kindertagesstätten“ in Bayern)  kreiert. Gleichzeitig herrscht ein Wildwuchs bei den verschiedenen Ausbildungsmodellen und den Bedingungen: Echte berufsbegleitende Ausbildung setzt eine Kooperation zwischen Fachschule und Praxisstelle auf Basis von verbindlichen Curricula und Ausbildungsplänen voraus. Modelle, wie z.B. in Berlin, wo Menschen, die einen Arbeitsplatz im Bereich Kita nachweisen, zusätzlich und teilweise mit erheblichen Schwierigkeiten eine Fachschule besuchen, bieten wenig Sicherheit und kaum Raum, sich selbst auch pädagogisch „ausprobieren“ zu können und führen zu hohen Belastungen bei den Teilnehmer*innen.

OptiPrax und PiA sind Modelle, bei denen eine strukturierte Ausbildung im Grundsatz durchgeführt wird, auch wenn beide Modelle nicht alle Probleme lösen.

Wie sehen aus Ihrer Sicht die wesentlichen Eckpunkte einer zukunftsfähigen, qualitätsvollen und professionellen berufsbegleitenden/praxisintegrierten, vergüteten Erzieher/innenausbildung aus?

Die derzeitige Ausbildung darf nicht abgewertet werden, sondern die Einstufung in Stufe 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) analog zu den Techniker*innen und Meister*innen muss erhalten bleiben.

Die GEW hat dazu auf ihrem letzten Gewerkschaftstag (2017 in Freiburg) einen grundlegenden Beschluss gefasst und fordert, dass alle Ausbildungen wie bisher als Breitbandausbildungen (die dazu berechtigen, die Berufsbezeichnung „staatl. anerkannte Erzieher*in“ zu führen) durchzuführen sind.

Mindestens müssen die in der KMK-Rahmenvereinbarung über Fachschulen (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.11.2002 i. d. F. vom 25.06.2015) aufgeführten Standards wie mindestens 2400 fachtheoretische Unterrichtsstunden innerhalb einer dreijährigen Fachschulausbildung erhalten bleiben. Es wird angestrebt, dass der fachpraktische Teil in unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe abgeleistet wird.

Länder und Kommunen sind gefordert, Ressourcen für die fachpraktische Ausbildung in den Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Kolleg*innen, die Teilnehmer*innen in berufsbegleitender Ausbildung anleiten, müssen im notwendigen Umfang von der Regeltätigkeit freigestellt werden. Eine Anrechnung auf den Personalschlüssel darf erst ab dem 3. Ausbildungsjahr erfolgen.

Welche Bedeutung wird Ihrer Meinung nach die berufsbegleitende/praxisintegrierte, vergütete Erzieher/innenausbildung in zehn Jahren haben?

Die Bedeutung der alternativen, berufsbegleitenden Ausbildungsmodelle wird zunehmen. Grundsätzlich sehen wir jedoch mittel- bis langfristig eher eine Verlagerung der Ausbildung hin zu den (Fach-)Hochschulen.