30.05.2018

Bis zu 70% weniger Theorie durch Dualisierung

Bundesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Ausbildungsstätten warnt vor Absenkung der Ausbildung von Erzieher/innen auf DQR Level 4. Interview mit Ute Eggers

Foto: privat

Die Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg/Männer in Kitas“ hat ein schriftliches Interview mit Ute Eggers geführt. Sie ist Vorstandssprecherin der „Bundesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Ausbildungsstätten, BöfAE e.V.“. Im November 2017 hat die BöfAE den Frankfurter Appell „Auch die Kitas brauchen hochqualifizierte Profis“ veröffentlicht.

Ute Eggers ist Erzieherin, Studiendirektorin an der Herman-Nohl-Schule Hildesheim in der Fachschule Sozialpädagogik; Fachberaterin für das Berufsfeld Sozialpädagogik bei der Niedersächsischen Landesschulbehörde; Projektbeauftragte des Schulversuchs zur Modularisierung der Fachschule Sozialpädagogik in Niedersachsen 2006 -2016. Entwicklung der Rahmenrichtlinien in Niedersachsen für die Fachschule Sozialpädagogik und Heilpädagogik.

Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Modularisierung sozialpädagogischer Ausbildungsgänge, beruflicher Habitus von Erzieher/innen, Familienzentren, Sozialdidaktik, Inklusion, Lehrerfortbildungen und -beratung im Bereich Lehrplangestaltung und Unterrichtsqualität; Mitarbeit in Rahmenrichtlinienkommissionen und Innovationsvorhaben für das Kultusministerium Niedersachsen; Lehrbeauftragte im Studiengang „Bildung und Erziehung im Kindesalter“ (BA) an der HAWK Hildesheim.

Frau Eggers, die BöfAE äußert sich in ihrem Frankfurter Appell zur Qualität der Erzieher/innenausbildung. Darin wenden Sie sich gegen die Fachkräfteausbildung auf dem Niveau einer dualen Erstausbildung und dagegen, die Ausbildung für Menschen mit Hauptschulabschluss zu öffnen. Sie äußern die Befürchtung, dass dann die DQR-Einstufung auf Niveau 6 nicht erreicht wird und sich das perspektivisch im Gehalt der Absolvent/innen bemerkbar machen wird.  Bei unserer Fachveranstaltung Ende Januar dieses Jahres wurde auch die Auffassung vertreten, dass die Bezahlung unabhängig vom DQR Level ist und die Überführung der Erzieher/innen-Ausbildung in das Berufsbildungsgesetz (BBiG) nicht die von Ihnen beschriebenen drastischen Auswirkungen hätte. Was bestärkt sie in der Annahme, dass dem doch so ist?

Eine klassische duale Ausbildung nach dem BBiG bedeutet, dass die Zugangsvoraussetzungen zur Erzieherin/zum Erzieher deutlich gesenkt werden. Derzeit ist es der mittlere Bildungsabschluss, duale Ausbildungen können aber auch von Jugendlichen mit oder ohne Hauptschulabschluss begonnen werden. Über die Aufnahme in ein Ausbildungsverhältnis entscheidet der Betrieb und somit auch über die Eignung und Leistung.

Eine duale Ausbildung mit ein bis zwei Ausbildungstagen pro Woche würde den Theorieanteil um bis zu 70 % reduzieren. Derzeitige klassische duale Ausbildungen sind zudem im DQR nach Level 4 eingeordnet. Die Erzieher/innenausbildung ist außerdem eine Meisterausbildung also eine Weiterbildung auf einer grundständigen Ausbildung, dies ist in den Modellen z.B. in Mecklenburg Vorpommern nicht vorgesehen.

Was genau macht aus Ihrer Sicht eine gute Qualität der Ausbildung aus? Und: Was tun  Fachschulen konkret, um eine gute Ausbildungsqualität zu gewährleisten?

In den letzten 12 Jahren haben alle Bundesländer extreme Anstrengungen unternommen, um das Niveau der Ausbildung weiter zu steigern. Hierzu zählt die Erweiterung der KMK Rahmenvereinbarung um das Qualifikationsprofil, der daraus resultierende Länderübergreifende Lehrplan mit durchgängig formulierten Kompetenzen auf Niveau Level 6, einige Länder haben ihre Ausbildung modularisiert um den Absolvent/innen eine vertikale Durchlässigkeit zu ermöglichen. Es wurde an guten Theorie-Praxis-Verzahnungskonzepten gearbeitet. Viele Schulen arbeiten über Beiräte und runde Tischen kontinuierlich mit Vertreter/innen aus der Praxis zusammen. Es gibt Standards für die Ausbildung an beiden Lernorten, die in der KMK Rahmenvereinbarung eindeutig geregelt sind etc.

Sie fordern in Ihrem Appell u.a., dass Quereinstiege in Fachschulen von affinen Berufen und Berufsgruppen auf der Grundlage von Kompetenzfeststellungen zu schaffen sind. Welche Berufe zählen Sie zu den affinen Berufen und welche Kompetenzen müssen Ihrer Ansicht nach Quereinsteiger/innen aus affinen Berufen für die Fachschulen mitbringen? Wie können diese Kompetenzfeststellungen aussehen?

Ergotherapeuten, Kinderkrankenschwestern, Logopäden bei diesen Berufen handelt es sich um affine Berufe. Manchmal arbeiten diese Personen schon im Bereich der Sozialpädagogik über mehrere Jahre und wollen sich über den Besuch der Fachschule Sozialpädagogik weiterqualifizieren. Ich denke, es müssen Mindeststandards für diese Quereinstiege formuliert werden, wie z.B. 600 Stunden begleitete Praxis oder eine dreijährige Berufstätigkeit im Feld. Für das Verfahren einer  Kompetenzfeststellung sollten auf KMK Ebene Standards formuliert werden. Hier wäre es möglich, die Ausbildungsinhalte einer sozialpädagogischen Assistentin als Kompetenzrahmen für eine Kompetenzfeststellung zu Grunde zu legen.

Wie stehen Sie zum Quereinstieg „nicht-affiner“ Personen, also solche mit anderen, fachfremden beruflichen Abschlüssen in die berufsbegleitende vergütete Erzieher/innenausbildung? Sind auch hier Kompetenzfeststellungsverfahren vorstellbar um den Berufswechsel, besonders für lebenserfahrene Menschen, zu ermöglichen?

Prinzipiell sind viele Zugänge zu denken, grundsätzlich ist wichtig, dass die Mindeststandards wie ein mittlerer Bildungsabschluss und 600 Stunden begleitete Praxis oder eine langjährige Tätigkeit im Feld vorzuweisen sind. Ich denke auch hier braucht es Standards auf KMK Ebene und die aufnehmenden Schulen und die Praxis brauchen ein Verfahren, um die informellen Kompetenzen dieses Personenkreises einzuschätzen. Hier kann zum Beispiel das Kompetenzraster der Länderoffenen Arbeitsgruppe hilfreich sein.

Wichtig ist, dass bei all dem Druck mehr Fachkräfte schnell auszubilden, immer noch der Maßstab Qualität vor Quantität gelten muss und alle Beteiligten müssen sich der Verantwortung und der Sensibilität in diesem Bereich bewusst sein. Alle alternativen Ausbildungsformen, Quereinstiege und Teilzeitausbildungen müssen das derzeitige Niveau, die Kompetenzbeschreibung des Qualifikationsprofils  für Erzieher/innen (KMK) und die damit verbundenen Qualifikationen auf DQR Level 6 inkludieren.

DANKE für die Beantwortung der Fragen.


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