03.11.2019

Nicht starr an eigenen Dogmen festhalten

Prof. Dr. Melanie Kubandt war anfangs zum Teil skeptisch, da ihr der Fokus allein auf Männer im Hinblick auf erziehungswissenschaftliche Diskurse der Geschlechterforschung zu eng war.

Foto: privat.

Darf ich mich vorstellen?

Prof. Dr. Melanie Kubandt ist seit März 2018 Juniorprofessorin für „Gender und Bildung“ an der Universität Vechta. Davor war sie u.a. Vertretungsprofessorin für Sozialpädagogik und Sozialdidaktik an der Leuphana Universität Lüneburg und für Pädagogische Kindheits- und Familienforschung an der Universität Osnabrück. In den Jahren davor war sie langjährig sowohl an der Universität Osnabrück als auch in der nifbe Forschungsstelle Elementarpädagogik als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Sie hat über doing gender in Kindertageseinrichtungen promoviert, wobei Geschlechterkonstruktionen von Kindern, Eltern und Fachkräften untersucht wurden. Melanie Kubandt ist ausgebildete Diplom-Pädagogin mit dem Schwerpunkt Elementarpädagogik und Sprachheilpädagogin (M.A.). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der frühen Kindheit, insbesondere im Bereich der qualitativ-rekonstruktiven Forschung zu Geschlecht.

An welches Erlebnis mit der Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg / Männer in Kitas“ denken Sie gerne zurück?

Gelesen hatte ich schon viel von den Kolleg*innen von der Koordinationsstelle und auch vieles in meiner eigenen Studie berücksichtigt. Das erste persönliche Kennenlernen fand dann 2016 im Rahmen einer Tagung zum Thema „Fachkräfte und Eltern in Kindertagesstätten. Zur Relevanz der Differenzlinien Geschlecht, soziale Herkunft und natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit“ an der Europa-Universität Flensburg statt. Im Anschluss an diverse Vorträge entfachte eine angeregte und sehr konstruktive Diskussion, die sich bis über den Abend und auch noch auf der gemeinsamen Rückreise fortsetzte. Was mir von Anfang an sehr gut gefallen hat, war der sehr konstruktive und offene Umgang der Kolleg*innen mit unterschiedlichen Positionen. Seitdem hatte ich die große Freude, die Kolleg*innen immer mal wieder auf Tagungen zu treffen und sogar für einen Beitrag in meinem gemeinsam mit Julia Schütz realisierten Herausgeber*innenband zu Methoden und Methodologien der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung zu gewinnen, worüber ich mich nach wie vor sehr freue.

Wir haben in den letzten Jahren im Rahmen der Themen „Männer in Kitas“ und „Gendersensible Ausbildung & Pädagogik“ in Kontakt gestanden. Wie haben sich die Themen in den letzten Jahren entwickelt?

Zu Beginn – auch im Rahmen meiner eigenen Veröffentlichungen zu Geschlecht – war ich zum Teil skeptisch, da mir der Fokus allein auf Männer im Hinblick auf wissenschaftliche Diskurse der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung zu eng war. Jedoch vermögen es die Kolleg*innen Praxislogiken und wissenschaftliche Logiken sehr sinnvoll zu verknüpfen und waren stets offenen Ohres für alternative Zugangsweisen und Positionen. Diese Offenheit für Kritik und Veränderungen spiegeln sich auch in den Veröffentlichungen und Angeboten der letzten Jahre wider.

Insgesamt war jedes Gespräch mit den Kolleg*innen immer sehr fundiert und konstruktiv. Was mir besonders imponiert hat, war, dass ich in den Gesprächen stets das Gefühl hatte. dass die Kolleg*innen voll hinter ihrer Sache stehen, aber gleichzeitig immer noch offen für neue Einsichten in das doch komplexe Themenfeld sind und nicht starr an Dogmen oder eigenen Überzeugungen festhalten. Diese Kombination findet man selten und hat mich wirklich nachhaltig beeindruckt.

Was braucht es künftig für die Themen „Männer in Kitas“ und „Gendersensible Ausbildung & Pädagogik“?

Damit pädagogische Fachkräfte ihre geschlechtlichen Vorstellungen im Hinblick auf Familien und die Zusammenarbeit mit Kindern und Eltern reflektieren können, ist es aus meiner Sicht von Bedeutung, dass ein größeres Verständnis vom spezifischen Verhältnis zwischen Kindertageseinrichtung, Familien und geschlechtlichen Vorstellungen vorliegt.

Zudem besteht in Kindertageseinrichtungen seitens pädagogischer Fachkräfte die Verantwortung, durch die Reflexion und Bewusstmachung eigener familiärer und geschlechtlich geprägter Vorstellungen zu einem professionellen pädagogischen Umfeld beizutragen. In dem sollen sich alle Kinder – ganz unabhängig von den unterschiedlichen familialen Lebensformen, in denen sie aufwachsen –, positiv entfalten können und Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen keinen Raum erhalten.

In diesem Zusammenhang kann es im Feld der frühen Kindheit nicht mehr darum gehen, einseitige Vorstellungen von Jungen und Mädchen, Männer und Frauen bzw. Vätern und Müttern gegenüberzustellen. Stattdessen braucht es eine differenziertere Perspektive, die komplexe Möglichkeiten anstelle von polaren bzw. binären Sichtweisen bietet. Andernfalls bleiben bzw. werden Kindertageseinrichtungen zu Bildungsorten, in denen stereotype Geschlechterverhältnisse und verkürzte Familienvorstellungen reproduziert werden, was im schlimmsten Fall zu Diskriminierungen und Benachteiligungen von Kindern führt.

Eine Gefahr sehe ich tatsächlich zudem in einer De-Thematisierung von Geschlechterlogiken unter dem Schlagwort Vielfalt und Diversität. Wir brauchen beides: intersektionale Perspektiven, aber auch die Berücksichtigung von Eigenlogiken im Hinblick auf die Differenzlinie Geschlecht.
Um diese Anforderungen an Praxis und Wissenschaft zukünftig vermehrt zu realisieren, braucht es so engagierte Personen und Stakeholder, wie ich sie in der Koordinationsstelle kennenlernen durfte! Danke für die stets konstruktive Zusammenarbeit!