Im Gespräch mit Nicole Pommerenke (Praxismentorin in Stendal)

Was sind Ihre Aufgaben als Praxismentorin?

Die Aufgaben einer Praxismentorin sind umfangreicher als man es annimmt. Je mehr man mit der Rolle vertraut wird, desto tiefreichender werden die Aufgaben. Ich habe im Folgenden meine Aufgaben einmal aufgelistet.

  • Durchsicht der Bewerbungsunterlagen und einladen zum Vorstellungsgespräch
  • Führen des Vorstellungsgespräches und Entscheidung treffen über Annahme oder Absage der Praktikantin/ Praktikant
  • Einteilung des Einsatzes der Praktikantin/Praktikant in welcher Gruppe sie/er tätig sein wird
  • Koordination der Zeiträume der Praktikanteneinsätze über das gesamte Jahr
  • Kritisches Lesen der schriftlichen Ausarbeitungen der Praktikanten für die Angebote
  • Hospitation bei der Durchführung der Angebote und im Freispiel
  • Teilnahme sowie seelische und moralische Unterstützung für die Praktikanten bei den Sichtstunden und den praktischen Prüfungen
  • Schaffung einer zeitlichen Struktur zur Durchführung der Reflexionsgespräche
  • Organisation, gemeinsam mit den Anleiterinnen, der Reflexionsgespräche
  • Teilnahme an den Reflexionsgesprächen
  • Unterstützer und Hilfeleistender für die Anleiterinnen in der Arbeit mit den Praktikanten
  • Telefonische Rücksprachen und Absprachen mit den Betreuungslehrern der Fachschulen
  • Enge und Kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Schulen der Sozialpädagogik sowie mit der Fachhochschule
  • Netzwerkverbindungen herstellen
  • Erarbeitung von Handlungsleitfäden für die Praktikanten als auch für die Praxisanleiterinnen
  • Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Leitung der Einrichtung
  • Aneignung, wenn nicht vorhanden so wie bei mir, von PC- Kenntnissen

Dies sind meine zu bewältigenden Aufgaben und die ein oder andere habe ich bestimmt noch vergessen.

Im Bundesprogramm „Lernort Praxis“ soll beispielhaft erprobt werden, wie bisher unterrepräsentierte Personengruppen, beispielsweise Männer und Menschen mit Migrationshintergrund, gewonnen und angeleitet werden können. Wieso werden diese Personen hervorgehoben? Was unterscheidet sie von den überrepräsentierten Personengruppen und wie setzen Sie dieses Anliegen in Ihrer Kita / bei Ihrem Träger um?

Wir habe zwar keine repräsentativen, aber sehr unterschiedliche  Erfahrungen mit Quereinsteiger/innen, Migrant/innen und Männern.

Migrantin
Im vergangenen Jahr hat eine Migrantin bei uns gearbeitet, die als Quereinsteigerin  eine Nichtschülerinnen-Prüfung anstrebte. Die Erfahrung hat mir gezeigt, wie wichtig bei Quereinsteiger/innen, die noch nicht so viel gearbeitet haben, die Gestaltung des Einstiegs in die Arbeitswelt und das Verinnerlichen vorhandener Arbeitsstrukturen ist. Es wurde auch deutlich, dass Praktikant/innen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, intensiver betreut werden müssen. Für diese Personengruppe ist es sicherlich auch schwieriger, die Prüfungen zu bestehen.

Quereinsteigerin
Bei einer Quereinsteigerin die schon im Einzelhandel tätig war, gab es keine Probleme. Da sie die Ausbildung an einer sozialpädagogischen Fachschule absolvierte konnte sie die Theorie gut mit der Praxis verbinden.  Auszubildenden aus Fachschulen fällt es vergleichsweise leichter sich an den Lernaufträgen der Fachschule zu orientieren und diese in der Kita abzuarbeiten. Die  Nichtschüler/innen bekommen von der Schule keine gesonderten Aufträge für die Kita an die Hand.  Deshalb habe ich in meiner Funktion als Praxismentorin angefangen, für die Nichtschüler/innen Lernaufträge zu erarbeiten.  An diesen Beispielen sieht man, wie unterschiedlich umfangreich die Anleitung in der Praxis sein kann.

Mann
Auch einen männlichen Praktikanten haben wir bereits betreut. Er wurde genauso behandelt wie die weiblichen Praktikantinnen auch. Er musste also nicht an die Werkbank gehen oder Fußballspielen mit  den Jungs. Er saß auch mit den Mädchen zusammen, bastelte und spielte usw.

Eine Situation gab es, die uns aber zeigte, dass es doch einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Praktikanten gibt. Die Situation war folgende: Ein Mädchen ( 3,5 Jahre) weigerte sich, von dem Praktikanten sich das Hemd in den Schlüpfer stecken zu lassen. Aus Angst vor Fehlinterpretationen anderer Mitarbeiter, ließ er das Mädchen gehen. Die Erzieherin der Gruppe ärgerte sich darüber, dass der Praktikant das Mädchen so „ unordentlich“ aus dem Waschraum gehen ließ. Sie hatte die Reaktion des Mädchens nicht mitbekommen. An diesem Tag stand das Reflexionsgespräch an. In diesem konnte diese Angelegenheit gleich geklärt werden. Der Praktikant äußerte seine Unsicherheit in dieser Situation und die Erzieherin bekam eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Das zeigt,  dass das Thema Generalverdacht immer zugegen ist, wenn auch unbewusst.

Welche Erfolge sehen Sie in Ihrer bisherigen Arbeit?

Im Rahmen des Modellprojekts ist es uns gelungen, das Bewerbungsverfahren hinsichtlich der Durchführung von Bewerbungsgesprächen und der Auswahl der Bewerber/innen zu verbessern. Wir konnten Standards bei der Bewerbung durchsetzen und können Vorstellungsgesprächen mittlerweile selbstsicherer durchführen. Als Erfolg werten wir auch, dass die Betreuungslehrer/innen an den Sichtstunden in den Einrichtungen teilnehmen und ich wiederum bei Vorstellungsgesprächen an der sozialpädagogischen Fachschule dabei sein kann.

Willkommenskultur für neue Zielgruppen

In der Arbeit mit den Praktikant/innen selbst ist es gelungen, regelmäßige Reflexions- und Abschlussgespräche mit den Praxisanleiterinnen und den Praktikant/innen durchzuführen. Wir erarbeiten gerade eine Orientierungshilfe für die Praktikant/innen, um damit unsere „Willkommenskultur“ auszudrücken und für die Praxisanleiterinnen gibt es ebenfalls erste Handreichungskonzepte zur praktischen Unterstützung im Arbeitsalltag. Die Praxisaufträge für die Praktikant/innen und die Beurteilungsbögen konnten vor dem Hintergrund unserer vertieften Erfahrungen optimiert werden.

Kooperation und Vernetzung
Außerdem ist es mir und den zwei anderen Praxismentorinnen aus Stendal  gelungen, einen Arbeitskreis zur besseren Vernetzung von Kitas und Fachschulen zu schaffen. Einmal im Monat  treffen sich in diesem Arbeitskreis Vertreter/innen der sozialpädagogischen Fachschule und der Stadt sowie Kitaleitungen, um darüber zu sprechen, wie die Ausbildung optimiert werden kann. Generell arbeiten wir mit der sozialpädagogischen Fachschule mittlerweile eng zusammen. Wir streben auch eine bessere Zusammenarbeit mit der örtlichen Fachhochschule an. Erste Gespräche fanden bereits statt.

Vor dem Modellprojekt gab es bei uns die Funktion der Praxismentorin in der Form nicht. Mittlerweile ist es mir gelungen, dass ich als Praxismentorin wahrgenommen und angenommen werde. Auch die Praktikant/innen selbst kommen mit Fragen und Problemen zu mir.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Stolpersteine, die einer Stärkung der Kita als Lernort noch im Wege stehen?

Aus meiner Sicht bedürfen die verschiedenen Ausbildungsformen, wie z.B. die 3-jährige Ausbildung oder das 2+1 Ausbildungsmodell, oder das Fachhochschulstudium unterschiedliche Praxisanleitungskonzepte. Die vielen Ausbildungsgänge sind schwer vereinbar für den Lernort Kita. Die Ausbildung dauert zu lange und es gibt keine finanzielle Unterstützung. Ich denke, der Beruf wird in unserer Gesellschaft nur wenig anerkannt und deshalb wird auch die Ausbildung unterschätzt. So gibt es zum Beispiel keine Freistellungszeit für die Arbeit mit den Praktikant/innen. Ein Stolperstein für mich ist, dass mir teilweise noch  Moderationstechniken fehlen und ich mir immer wieder die Frage stellen muss,  wie  ich Inhalte ins Team bringen kann. In Teamsitzungen bleibt oftmals auch zu wenig Zeit, um über den Lernort Praxis zu berichten.

Eine Hürde ist auch, dass die Kita nicht als Lernort anerkannt ist und es dem Team an Fortbildungen fehlt, um die Kita als Lernort noch besser ausfüllen zu können.

Am Ende ist mir noch wichtig zu sagen, dass bei all der Arbeit, die Zeit am Kind nicht verloren gehen darf.

Vielen Dank für das Interview!