Beitrag von Astrid Reucker Praxismentorin in Uetze im Bundesprogramm Lernort Praxis

Astrid Reucker ist Diplom Religionspädagogin und hat ein halbe Stelle als Kita-Leitung und eine halbe Stelle als Praxismentorin in der Gemeinde Uetze.
Die Gemeinde Uetze gehört zur Region Hannover, liegt am östlichen Rand und grenzt an drei Kommunen. Bis zum Stadtzentrum Hannover sind es 39 km.
Die Kitas sind fast ausschließlich in kommunaler Trägerschaft. Es gibt eine Waldkita mit einer Wald- und einer Krippengruppe. Insgesamt sind es  13 Einrichtungen (Krippe, Kita, Hort) in acht Ortschaften.

Ziele der Bewerbung:

  • Gewinnung von gut ausgebildeten Fachkräften aus der Kommune
  • Gewinnung von männlichen Fachkräften
  • Gewinnung von Migrant/innen
  • Verbesserung der Anleitung / Stärkung der Anleitenden

Einführung

Die leitenden Akteure der Gemeinde Uetze aus Politik und Verwaltung sehen die großen Standortnachteile durch die Randlage in der Region Hannover sehr kritisch. Die Gemeinde ist ländlich geprägt und es gibt kaum größere Wirtschaftsunternehmen. Das hat u. a. große finanzielle Nachteile und damit verbunden eine hohe Verschuldung zur Folge.

Gleichzeitig sind die Miet- und Grundstückspreise im Vergleich der Region sehr niedrig. Das hat zur Folge, dass der Wohnraum für viele erschwinglich wird, allerdings müssen häufig beide Elternteile in Vollzeit berufstätig sein, um die finanziellen Belastungen zu tragen. Außerdem haben sich viele kinderreiche und / oder auf Sozialhilfe angewiesene Familien angesiedelt. Der Anteil an Familien mit Migrationshintergrund ist ebenfalls hoch.

Die geografische Randlage in der Region Hannover stellt zusätzlich für Arbeitnehmer/innen logistisch ein Problem dar. Einen öffentlichen Personennahverkehr gibt es ausschließlich in die Region Hannover und das auch nicht flächendeckend zu jeder Zeit. Die umliegenden Kommunen bzw. Landkreise Celle, Meinersen und Peine sind ausschließlich mit dem PKW erreichbar.

Dieser Standortnachteil wirkt sich u. a. auch im Bereich der Kinderbetreuung aus.
Die Zahl der externen Bewerbungen auf freie Stellen ist rapide gesunken. Pädagogische Fachkräfte finden in der Stadt Hannover und in den umliegenden Städten problemlos Stellen und nehmen nicht den weiten und schwierigen Weg nach Uetze auf sich. Stellen werden daher entweder intern durch den Wechsel zwischen zwei Kitas oder durch Sozialassistent/innen bzw. Erzieher/innen, die ihre Ausbildung beendet haben, besetzt. Auf eine ausgeschriebene Stelle kommen derzeit höchstens zwei Bewerbungen, teilweise müssen Stellen ein weiteres Mal ausgeschrieben werden.

Die Mitarbeiter/innen der Gemeinde Uetze versuchen diesem Problem mit verschiedenen Mitteln zu begegnen:

  • Jeder Mensch ist einzigartig und sie / er wird herzlich und mit Wertschätzung im Team begrüßt. Eine kulturelle Vielfalt und Heterogenität sind erwünscht. Damit wird ausdrücklich geworben.
  • Die Ausbildung der angehenden Fachkräfte wird intensiviert. Die Anleiter/innen werden entsprechend geschult und es wird ihnen adäquates Arbeitsmaterial zur Verfügung gestellt. Die Praxismentorin hat ein Anleitungskonzept zusammen mit den am LOP tätigen Akteuren erstellt, das für alle Kindertageseinrichtungen bindend ist. Dieses wird in den Dienstbesprechungen der einzelnen Kitas erläutert und auf die besondere Bedeutung der Ausbildung hinsichtlich des Fachkräftemangels hingewiesen.
  • Den Auszubildenden wird, bei entsprechender Eignung, frühzeitig die Möglichkeit eingeräumt, sich um eine Festanstellung zu bewerben.
  • Es wurden zwei Stellen für Quereinsteiger/innen als Drittkräfte geschaffen, um die finanziellen Einbußen während der Sozialassistent/innenausbildung zu lindern.
  • Die Möglichkeit der berufsbegleitenden Ausbildung zur/m Erzieher/in wird ermöglicht und gefördert.
  • Berufsanfänger/innen wird in den ersten zwei Jahren die Möglichkeit geboten an einem regelmäßigen Coaching teilzunehmen. Außerdem wird die Teilnahme an Fortbildungen gefördert und gefordert.

Dieser Maßnahmenkatalog zeigt bislang einige Erfolge. So haben im laufenden Kita-Jahr schon mehrere Absolvent/innen eine Festanstellung bekommen. Bei den Bewerbungsgesprächen hat sich gezeigt, dass diejenigen, die in den eigenen Kitas die praktische Ausbildung absolvierten, in der Regel ein gutes und fundiertes Wissen haben und auf die Arbeit in der Praxis gut vorbereitet sind. Dieses ist u. a. ein Erfolg des Projektes LOP, das eine verbesserte Anleitung initiiert hat.

Einstellung von Quereinsteiger/innen

Zudem setzen die Kitas auf Quereinsteiger/innen. Und zwar auf fachfremde Personen, die einen anderen Beruf erlernt haben, auf lange im Beruf befindliche Sozialassistent/innen und auf Wiedereinsteiger/innen.

Die verbesserte Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf „Kita als Ausbildungsort“ hat zur Folge, dass vermehrt Anfragen von Personen kommen, die bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung und / oder einige Jahre im Beruf gearbeitet haben. Für diese Personen stellt die Ausbildung eine große Herausforderung dar. Zum einen liegt ihre Schulzeit lange zurück und sie müssen das Lernen neu lernen. Zum anderen haben sie während der Schulzeit kein Einkommen und müssen im Regelfall sogar monatlich über 100,-€ für die Schule bezahlen. Gerade für Familien mit Kindern stellt das eine große Hürde dar. Die Praxismentorin hat viele Beratungsgespräche mit dieser Personengruppe geführt und es kam nicht in allen Fällen zu einem Ausbildungsvertrag.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass gerade diese Personengruppe für den Beruf einer/s Erzieher/in sehr geeignet ist. Die Auszubildenden kommen mit einem großen Erfahrungsschatz an persönlichen Kompetenzen, sind mit dem Arbeitsleben vertraut und sind vor allem hoch motiviert. Die große Hürde in die Ausbildung zu gehen führte dazu, dass sie sich sehr intensiv mit ihrem Berufswunsch und den damit verbundenen Begleitumständen auseinandergesetzt haben und hoch motiviert stringent auf ihr Ziel zusteuern.

Daher hat sich die Gemeinde Uetze entschlossen diese Personengruppe besonders zu unterstützen und hat zwei halbe Stellen als „Drittkraft“, bezahlt mit S2, geschaffen.

Ein zweiter Schwerpunkt ist die Intensivierung der Möglichkeit für Sozialassistent/innen die Erzieherausbildung berufsbegleitend zu absolvieren. Diese Personengruppe kann ihre Arbeit fortführen und, wenn es nötig ist, die Stundenzahl reduzieren ohne die Kita zu verlassen. Im Anschluss an die dann dreijährige Ausbildung haben sie die Möglichkeit eine Erzieherstelle in einer Einrichtung der Gemeinde zu bekommen.

Die beiden letztgenannten Möglichkeiten sind auch den Fachschulen bekannt, so dass von dort aus Interessenten geschickt werden können.

Für beide Ausbildungsformen gibt es viele Interessenten. Allerdings sind die Kapazitäten der Fachschulen begrenzt. Es würde genügend Bewerber/innen für zusätzliche Klassen geben. Die Schulen haben leider keine Möglichkeit zusätzliche Klassen einzurichten, da sie keine freien Räumlichkeiten und keine zusätzlichen Lehrkräfte haben. So müssen Sozialassistent/innen teilweise zwei Jahre auf den Beginn der Ausbildung warten.

Für eine finanzschwache Kommune wie Uetze stellen die genannten Punkte eine hohe zusätzliche finanzielle Belastung dar. Die Gemeinde Uetze sieht sich gezwungen zusätzliche finanzielle Mittel bereit zu stellen, um eine adäquate Kinderbetreuung dauerhaft sicher zu stellen.
Daher wäre es dringend erforderlich Finanzierungsmöglichkeiten für Quereinsteiger/innen vom ersten Jahr an zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig die Ausbildungsmöglichkeiten für diese Personengruppe zu erweitern. Vor allem auch an staatlichen Schulen, damit nicht das Schulgeld zusätzlich notwendig wird.

Männer in Kitas

Die Gemeinde Uetze hat sich im Vorfeld des Projektes für den Schwerpunkt drei entschieden. In den Kitas gab es wenige Migrantinnen, die aus dem osteuropäischen Raum stammten und genau zwei Männer, die im Hort beschäftigt waren. Demgegenüber gab und gibt es in den Einrichtungen eine bunte Vielfalt von Kindern aus vielen Ländern und unterschiedlicher sozialer Herkunft.

Die Praxismentorin hatte die Aufgabe sowohl Männer als auch Migrant/innen für die Arbeit in der Gemeinde Uetze zu gewinnen. Dieses ist relativ gut gelungen. Wie konnte das erreicht werden?

Im ersten Schritt mussten viele Vorurteile bei den Leitungen und in den Teams der Einrichtungen relativiert werden. Es gab große Bedenken, wie sich ein heterogenes Team verändert und vor allem, ob Männer den Aufgaben gewachsen wären. Außerdem gab es über einige Jahre hinweg eine kontrovers diskutierte Angst vor etwaigen Übergriffen bzw. das Vorurteil, dass die Eltern Männer als Erzieher ablehnen würden. Die Angst ging so weit, dass den wenigen Erziehern das Wickeln von Kindern untersagt war. Dieses Verbot war schon vor Beginn des Projektes aufgehoben, hielt sich aber noch in einigen Einrichtungen. Maßgabe war allerdings, dass die Tür zum Wickelraum geöffnet sein musste.

Da diese Ängste zum Teil auf falschen Vorstellungen und der Medienpräsens von spektakulären Einzelfällen beruhte, konnte mit Gesprächen nichts erreicht werden, sondern nur mit guten Erfahrungen.

Neben den beiden fest angestellten Männern gab es einige wenige männliche Auszubildende in positiv eingestellten Einrichtungen. Dort wurden sehr gute Erfahrungen gemacht. Vor allem die Jungen freuten sich sehr über die männliche Unterstützung. Sie fanden Ansprechpartner, die sie verstanden und ihre (männliche) Sicht der Welt teilten. Viele Jungen hatten zum ersten Mal eine „Vaterfigur“ und genossen dieses sehr. Die Teams selbst sahen in den Männern eine Bereicherung an Erfahrungen und Kompetenzen.
Dieses sprach sich herum und es konnten die anfangs negativ geäußerten Fragen aus neuem Blickwinkel betrachtet werden. Immer mehr Kitas konnten sich die Zusammenarbeit mit Männern gut vorstellen.
Die Vorurteile der Eltern z.B. in der Einrichtung der Praxismentorin waren, was den Alltag betrifft, nicht sehr hoch, machten sich aber an einigen Punkten deutlich:
Der männliche Kollege durfte nicht mehr ohne weibliche Begleitung zum Sport gehen, weil es einen vagen Verdacht gab. Dieser war aber irreal und die Ursache waren sexuelle Straftaten, die ein Kollege des Vaters (Kinderarzt) begangen hatte.
Bei Mitteilungen das Kind betreffend werden von den Müttern eher die Frauen und von den Vätern eher die Männer angesprochen. In der Kita wird dieses eher positiv gesehen. Zumal festgestellt wurde, dass es eine vermehrte Väterpräsens in der Kita gibt.

Grundsätzlich ist das Thema Mann nach mehreren Jahren Erfahrung kein Thema mehr. Der Kollege ist seit zwei Jahren fest im Team, er ist bekannt und seine Kompetenzen werden geschätzt.

Aber wie können geeignete Sozialassistenten und Erzieher ermutigt werden, sich in der Gemeinde Uetze zu bewerben?

Die Personalleiterin hatte zugesagt, dass Männern bei Bewerbungen, bei allgemeiner Eignung, ein Vorrecht eingeräumt wurde, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. In der Öffentlichkeitsarbeit wurde dargestellt, dass Männer in den Kitas arbeiten. Und die Männer selbst hatten großes Interesse nicht mehr die „Exoten“ zu sein und machten gezielt Werbung bei Kollegen.

Bei der jährlich stattfindenden Berufsmesse am Schulzentrum haben die Auszubildenden über den Beruf eines/r Erzieher/in informiert und konnten durch starke Männerpräsenz Ängste und Vorurteile abbauen.

In der Öffentlichkeitsarbeit wird viel mit Männern gearbeitet, z.B. durch Präsentationen und / oder Fotos.

Alle Faktoren zusammen waren und sind erfolgreich. Derzeit arbeiten 12 Männer in der Hälfte der Einrichtungen, gegenüber 106 Frauen. Das ist immer noch ein geringer Prozentsatz, die Steigerung ist trotzdem enorm und die Tendenz zeigt weiterhin nach oben. Bei den Auszubildenden des laufenden Kita-Jahres liegt der Anteil der Männer bei 21% (7 Männer 26 Frauen). Da viele von ihnen erfahrungsgemäß zukünftig in der Gemeinde arbeiten werden, wird der Prozentsatz der Männer auch beim fest angestellten Personal wachsen.

Großer Handlungsbedarf besteht nach wie vor beim Anteil der Migrant/innen in der Gemeinde Uetze. Die Herausforderungen sind nicht nur durch den Zuzug von geflüchteten Menschen immens. Sprachliche und ethnische Kompetenzen wären in der täglichen Arbeit mit den Kindern und den Eltern sehr hilfreich. Derzeit sind nur 7 der 118 Mitarbeiter/innen Migrant/innen. Bei den Auszubildenden sind es 2 von 33.

Fazit

Durch das Projekt LOP wurde viel erreicht, nicht zuletzt ein Umdenken in Punkto Ausbildung und Gender und Diversity. Dennoch besteht noch viel Handlungsbedarf.

Die Zusammenarbeit mit den Fachschulen ist aus Sicht der Praxis nicht zufriedenstellend. Im Projektverlauf kam es zu einer Annäherung. Für Kooperationen und einen dringend erforderlichen regelmäßigen Austausch sowohl mit den Schulen als auch mit den Praxisbegleiter/innen der einzelnen Schüler/innen haben die Schulen keine zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Im Sinne einer guten, gemeinsamen Ausbildung bedarf es einer verbesserten Kommunikation, die vor allem beide Partner LOP und LOS als gleichwertig anerkennt.

Die Erzieher/innen, die sich für eine Anleitung zur Verfügung stellen, sind hochmotiviert und investieren viel Zeit und Arbeit für ihre Auszubildenden. Vor allem die Zeit müssen sie entweder von der knappen Verfügungszeit oder von der Betreuungszeit nehmen. Außerdem sind sie auf das Wohlwollen ihrer Kolleg/innen angewiesen, die für sie Vertretung machen müssen. Diese wichtige, zukunftsweisende Arbeit muss endlich durch ein zusätzliches Stundenkontingent finanziell vergütet und damit anerkannt werden.

Die Gemeinde Uetze sieht den großen Handlungsbedarf und hat sich entschieden die Praxismentorin mit einer 19,5 Stundenstelle weiterhin zu beschäftigen und mit der Weiterentwicklung der begonnenen Projekte zu beauftragen.